Irrwege
Ruhm.«
»Nein.« Haplo knirschte mit den Zähnen. »Er
lügt.«
Marit schlug ungeduldig mit der Hand durch die
Luft. »Ich habe mit eigenen Ohren auf Arianus die Nichtigen reden gehört. Ich
habe gehört, was sie sagten, deine Nichtigenfreunde.« Ihre Lippen kräuselten
sich höhnisch, sie warf einen geringschätzigen Blick auf Hugh Mordhand.
»Nichtigenfreunde mit Sartanwaffen, den Waffen unserer Feinde, die du
wahrscheinlich vorhattest, gegen dein eigenes Volk zu gebrauchen!«
Der Hund winselte und wollte zu Haplo kriechen.
Hugh Mordhand pfiff ihn zurück. »Hierher, Junge.
Komm zu mir«, sagte er brummig.
Der Hund äugte kummervoll zu seinem Herrn, aber
Haplo schien seine Existenz vergessen zu haben. Mit hängenden Ohren und
hängendem Schwanz trottete der Hund zu Hugh und ließ sich neben ihm hinfallen.
»Du hast unseren Gebieter verraten, Haplo«, fuhr
Marit fort. »Deine Treulosigkeit hat ihn zutiefst verletzt. Deshalb schickt er
mich.«
»Aber ich habe ihn nicht verraten, Marit! Und
nicht die Unseren. Alles, was ich getan habe, tat ich für sie, zu ihrem Besten.
Die Drachenschlangen sind die wahren Verräter…«
»Haplo«, unterbrach ihn der Assassine mit einem
bedeutungsvollen Blick durch das Bullauge. »Wir haben offenbar den Kurs
geändert.«
Haplo sah kaum hin. »Das ist Pryan.« Er richtete
den Blick wieder auf Marit. »Du warst das. Warum Pryan?«
Sie erhob sich schwankend. »Xar hat es mir
befohlen. Er will dir Fragen stellen.«
»Und das kann er nicht, wenn ich tot – oh, ich
verstehe.« Haplo nickte. »So ist das. Also hat unser Gebieter die verbotene
Sartankunst der Nekromantie gelernt.«
Marit ging nicht auf die Anspielung ein. »Wirst
du freiwillig mitkommen, Haplo? Dich seinem Richterspruch unterwerfen? Oder
muß ich dich töten?«
Haplo sah durch das Bullauge auf die grüne Welt
Pryan – eine hohle Steinkugel, in deren Zentrum vier Sonnen standen. Aufgrund
des endlosen Tages wucherte das pflanzliche Leben auf Pryan so üppig, daß die
Nichtigen ganze Städte im Geäst gigantischer Bäume erbauten. Nichtigenschiffe
segelten über Ozeane, die in riesigen Moosschüsseln hoch über dem Boden
schwebten.
Haplo schaute auf Pryan, ohne etwas
wahrzunehmen. Er sah nur Xar.
Wie einfach es wäre. Vor Xar auf die Knie
fallen, den Kopf beugen, mein Schicksal hinnehmen. Mich fügen. Aufhören zu
kämpfen.
Wenn ich es nicht tue, muß ich sie töten.
Er kannte Marit, wußte, wie sie dachte. Einst
hatten sie beide gleich gedacht. Sie verehrte Xar. Haplo verehrte ihn
ebenfalls. Xar hatte ihm das Leben gerettet, hatte ihm wie unzähligen seiner
Landsleute geholfen, aus dem heimtückischen Labyrinth zu entkommen.
Aber Xar irrte sich. Wie Haplo sich geirrt
hatte.
»Du hast recht gehabt damals, Marit«, sagte er.
»Ich verstand es nicht. Aber jetzt kann ich verstehen.«
Von seinem Gedankengang verwirrt, musterte sie
ihn argwöhnisch.
»›Das Böse ist in uns‹, hast du gesagt. Wir sind
diejenigen, die dem Labyrinth seine Macht verleihen. Es nährt sich von unserem
Haß, unserer Furcht. Es mästet sich an unserer Furcht.« Bei dem letzten Satz
lächelte er bitter, es waren Sang-drax’ Worte.
»Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagte Marit
abfällig. Sie fühlte sich besser, kräftiger. Das Gift verlor seine Wirkung,
die heilende Magie filterte es aus ihrem Blut. »Man redet viel, wenn man jung
ist und dumm.«
Während sie mit Haplo sprach, eilten ihre
Gedanken zu Xar. Ich bin auf Pryan, Gemahl. Mit Haplo. Nein, er ist nicht tot.
Führe mich zu unserem Treffpunkt.
Sie legte ihre Hand auf den Kompaßstein. Runen
flackerten. Das bisher ziellos treibende Schiff flog plötzlich wie von
Sturmwinden getrieben durch den grünlichen Himmel. Die Stimme ihres Gemahls
sprach unhörbar zu ihr, geleitete sie zu ihm.
»Wie lautet deine Antwort?« Der Kurs stand fest,
und Marit ließ den Stein los. Unauffällig senkte sie den Arm und fing das
herausgleitende Messer in der hohlen Hand auf.
Der Hund hinter ihr begann zu knurren. Hugh Mordhand
streichelte ihn beschwichtigend. Er beobachtete die beiden Patryn aufmerksam.
Sein eigenes Schicksal – mit dem Haplos verknüpft, dessen Hilfe er brauchte, um
Alfred zu finden – stand auf dem Spiel. Marit behielt den Menschen im Auge,
schenkte ihm aber wenig Beachtung. Sie sah in ihm keine Bedrohung, er war nur
ein Nichtiger.
»Xar hat einen großen Fehler begangen, Marit«,
versuchte Haplo zu erklären. Er
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