Irrwege
Paithan die Hände in die Luft warf und
rief, ihm wäre es gleichgültig, sollten sie sich doch den Bauch vollschlagen.
Sie würden nur ihr Ende beschleunigen, und er zumindest wäre froh, sie los zu
sein.
Woraufhin Rega in Wut geriet und ihm an den Kopf
schleuderte, bestimmt wäre er froh, wenn sie als erste starb, und um so besser,
weil sie nicht mit einem Mann leben konnte, der ihren Bruder haßte.
Woraufhin sie alle davongestürmt waren und die
Vorräte unrationiert blieben.
Aleatha blickte die leere Straße entlang und
fröstelte im wannen Sonnenschein. Die marmornen Wände waren immer kalt. Die
Sonne vermochte sie nicht zu wärmen, vermutlich wegen der seltsamen
Dunkelheit, die sich zu jeder Schlummerzeit über die Stadt senkte. Geboren und
aufgewachsen in einer Welt dauernden Lichts, genoß Aleatha die künstliche
Nacht, die es nur in der Zitadelle gab, nirgends sonst auf Pryan. Sie liebte
es, durch das geheimnisvolle Dunkel zu wandern, umschmeichelt von der samtigen
Weichheit der Nachtluft.
Eigentlich machte es erst zu zweit den
richtigen Spaß. Sie schaute sich um. Die Schatten wurden länger. Sie hatte zwei
Möglichkeiten – entweder konnte sie in den Sternendom gehen und sich zu Tode
langweilen, während Paithan an seiner dummen Maschine herumbastelte, oder sie
konnte sich auf den Weg machen und nachsehen, ob Roland tatsächlich beim Irrgarten
auf sie wartete.
Aleatha begutachtete ihr Spiegelbild im
Kristallfenster eines leerstehenden Hauses. Sie war etwas dünner als früher,
aber das tat ihrer Schönheit keinen Abbruch. Wenn möglich, wirkten durch die
schmale Taille ihre Brüste noch üppiger. Kunstvoll zupfte sie das Dekollete
zurecht und kämmte sich mit den Fingern durch das lockige Haar.
Roland wartete. Sie wußte es.
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Kapitel 21
Die Zitadelle,
Pryan
Der Irrgarten befand sich im hinteren Bezirk der
Stadt, an einem sanften Abhang, der vom Zentrum zu der hohen Umfassungsmauer
führte. Keiner der anderen teilte ihre Vorliebe für diesen Ort, es wäre
irgendwie nicht ganz geheuer da, behauptete Paithan. Doch Aleatha fühlte sich
davon angezogen und ging oft während der Weinzeit dort spazieren. Wenn sie
schon alleine sein mußte (und es wurde dieser Tage immer schwieriger,
Gesellschaft zu finden), dann war es dort noch am ehesten auszuhalten.
»Der Irrgarten wurde von den Sartan angelegt«,
erzählte ihr Paithan, dessen Wissen aus den Büchern stammte, für die er
neuerdings eine Leidenschaft entdeckt zu haben schien. »Und zwar zu ihrem
eigenen Vergnügen, weil sie gerne im Freien waren und es sie daran erinnerte,
wo sie herkamen. Für uns Nichtige war der Zutritt verboten.« Bei dem Wort
kräuselten sich seine Lippen. »Ich weiß nicht, weshalb sie sich die Mühe
machten, großartig ein Verbot auszusprechen. Kein vernünftiges Wesen hätte
Lust, da hineinzugehen. Nimm’s nicht übel, Thea, aber was findest du so faszinierend
an dem unheimlichen Ort?«
»Oh, ich weiß nicht«, erwiderte sie
schulterzuckend.
»Vielleicht, daß es tatsächlich ein bißchen
gruselig ist. Sonst gibt es hier ja nichts – und niemanden – Interessantes.«
Wie Paithan weiter aus seinem neuerworbenen Wissensschatz
verlauten ließ, war der Irrgarten einst eine schmucke Anlage aus sorgsam
gestutzten Hecken, Bäumen und Sträuchern gewesen. Den Mittelpunkt bildete eine
Art Amphitheater, bei dem sich die verschlungenen Pfade letztlich trafen. Hier
(abgeschirmt von den Augen und Ohren der Nichtigen) hatten die Sartan ihre
geheimen Versammlungen abgehalten.
»Ich würde nicht hineingehen, Thea«, hatte
Paithan sie gewarnt. »In dem Buch steht, die Sartan hätten den Irrgarten mit
einem Bann belegt, um Unbefugte fernzuhalten.«
Paithan erreichte genau das Gegenteil dessen,
was er beabsichtigte: Aleatha fand die Warnung aufregend und erkor den
Irrgarten nun erst recht zu ihrem bevorzugten Aufenthaltsort.
Im Lauf der Jahre war die Anlage verwildert. Die
Hecken strebten ungebändigt gen Himmel, überwucherten die Pfade, bildeten
grüne Dächer aus verflochtenen Zweigen, unter denen selbst in den heißen
Stunden des Tages ein kühles Zwielicht herrschte. Es war, als ginge man durch
einen Blättertunnel, denn irgendeine Macht hielt die Pfade selbst frei, vielleicht
die seltsamen Zeichen auf den Steinen; Zeichen, die man auch an den Gebäuden
der Stadt fand und an der Umfassungsmauer. Zeichen, von denen Paithan
behauptete, sie wären Magie.
Ein Tor aus
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