Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt: Urlaub in der Hölle
orientierungslos in einem indischen Wohnzimmer. Krishna ist ganz still und kann Sie in aller Ruhe aus dem Dunkel heraus betrachten. Wenn der Strom wiederkommt, muss er ja weiter Rocky 11 gucken.
Gegen halb elf, nach dem dritten Whisky, sitzen Sie immer noch allein mit Krishna im Wohnzimmer, sehen mittlerweile den komplett geistlosen Streifen Kung Fu Hustle , haben den Nippes auf den Regalen unzählige Male eingängig betrachtet und auch festgestellt, dass Ihre Kuckucksuhr einen Ehrenplatz in diesem Raum finden wird. Der Hausherr kommt jetzt erneut ins Zimmer, nimmt selbst einen großen Schluck Whisky, füllt Ihr Glas ein weiteres Mal und entschuldigt die kleine, eingetretene Verzögerung: «Wir haben immer mit diesen Stromausfällen zu kämpfen. Deswegen müssen wir flexibel sein, wir haben einen Elektroherd, einen Gasherd und einen Kerosinkocher. Heute wurde aber auch die Gasflasche leer, und der Kerosinkocher hat nur eine Flamme.»
Lassen Sie sich noch einen weiteren Whisky einschenken, versuchen Sie Ihren Freund aber nicht in ein Gespräch zu verwickeln, denn er wird weiter in der Küche gebraucht. Beim Hinausgehen nimmt er Krishna mit.
Gegen elf Uhr steht ein Umzug bevor, vom Wohnzimmer geleitet Sie der Hausherr ins Esszimmer, hier drückt er Sie auf einen Stuhl am ovalen Esstisch. Das ist mittlerweile nötig, weil Sie unter ersten alkoholbedingten Ausfallerscheinungen leiden.
Der Tisch ist für zwei gedeckt, das fällt Ihnen irgendwie auf. Um zehn nach elf erscheint die Frau des Hauses im Türrahmen, stellt eine dampfende Suppe auf den Tisch und stellt sich dann neben ihren Mann. Der sagt: «Das ist meine Frau, beginnen Sie doch bitte schon, ich bin gleich bei Ihnen. Ich muss nur noch eine kleine Zutat für den Hauptgang besorgen.» Sie sind dann wieder allein, der Strom fällt aus, und Sie hören den Hausherrn mit dem Moped davonfahren. Die Suppe tut gut, auch im Dunkeln, und macht wieder etwas nüchtern. Sie hören die Hausfrau in der Küche werkeln. Dann kommt der Hausherr zurück, betritt strahlend das Esszimmer, eine neue Flasche Whisky in der Hand. Es ist jetzt kurz vor Mitternacht, und zum ersten Mal setzt sich Ihr Freund zu Ihnen an den Tisch.
Genießen Sie es, verwickeln Sie ihn aber nicht in ein ernstes Gespräch, sondern betreiben Sie nur Smalltalk. Für ernste Gespräche fehlt bei solchen Essenseinladungen immer die Zeit, deswegen sollte man den Gastgeber auch nicht in Bedrängnis bringen. Er könnte nur Unüberlegtes zum Besten geben. Nach wenigen Minuten wird er die Suppe hinaustragen, und Sie sind wieder allein. Und nicht mal der Fernseher läuft. Gegen Viertel nach zwölf wird dann groß aufgetragen.
Unzählige dampfende Schüsseln mit köstlichen Gerichten werden vor Ihnen aufgebaut. Wenn Sie Glück haben, gibt es dazu auch Wasser zu trinken, anderenfalls weiter Whisky.
Jetzt setzt sich Ihr Freund wieder zu Ihnen, die Hausfrau nimmt Ihnen noch den Suppenteller ab und verschwindet wieder lautlos. Jetzt lassen Sie es sich zu zweit richtig gut schmecken. Geredet wird wenig. Dann kommt die Hausfrau aus der Küche und räumt ab. Diese Chance müssen Sie nutzen. Sofort beginnen Sie, ihre Kochkünste überschwänglich zu loben. Reden Sie ohne Punkt und Komma, denn Ihr Freund ist längst dabei, seine Frau wieder in Richtung Küche zu schieben. Nicht, weil ihm seine Frau vielleicht peinlich wäre, überhaupt nicht. Nein, ihm ist eher peinlich, dass Sie über Ihre Lobeshymnen glatt Ihr Whiskytrinken vernachlässigen. Gegen Viertel vor eins organisiert Ihr Freund ein Taxi und begleitet Sie zur Tür. Die Frau des Hauses erscheint nicht mehr, Sie hören sie auch nicht mehr in der Küche.
Der Abschied fällt herzlich aus, und Sie nehmen sich vor, beim nächsten Mal doch eine Flasche Whisky aus dem Duty Free mit dabeizuhaben, damit Ihr Freund nicht nachts auf seinem Moped Kopf und Kragen riskieren muss, um für Nachschub zu sorgen. Gute Sitten hin oder her.
Sie haben an diesem Dinner-Abend dann zwei Minuten mit Ihrem Freund gesprochen, etwa zehn Minuten diniert, mindestens genauso lang Whisky getrunken, dreißig Minuten im Dunkeln gesessen, drei Stunden mit und ohne Krishna Fernsehen geschaut. Und Sie haben alles richtig gemacht. Ihr Freund hat einen unvergesslichen Abend mit Ihnen verbracht, seine Frau auch, und Sie kennen jetzt die Sitten und Gebräuche bei einem Abendessen mit gutsituierten Freunden zum Beispiel in Indien.
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«Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt»
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