Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt: Urlaub in der Hölle
langsam auf die Rente. Ramona ist zwei Jahre jünger, Hausfrau mit Leib und Seele. Erst hat sie die beiden Söhne Markus und Stefan großgezogen, und seitdem die aus dem Haus sind und ihr eigenes Leben führen, kümmert sie sich nur noch um ihren Peter. Das ist immer noch ein Fulltime-Job, wenn man ihn gewissenhaft macht, also mit täglich Lüften und Bettzeug über den Balkon in die frische Luft hängen, jeden Morgen saugen, Staub wischen, mittags für Peter kochen, abends leckere Schnittchen vorbereiten und, und, und. Sie ist zufrieden mit ihrem Leben, zumal sie seit drei Jahren zweimal die Woche zum Frauenturnen geht. Jetzt hat sie ihr Gewicht wieder im Griff und kann jede Woche sehen, dass andere Frauen in ihrem Alter das lange nicht so gut hinbekommen. Das lässt sie sich auch von Peter sehr regelmäßig bestätigen.
Von Köln-Bonn fliegen sie in gut vier Stunden direkt nach Hurghada. Ramona überlässt Peter immer den Fensterplatz im Flieger, er erzählt ihr im fairen Gegenzug, was unter ihnen zu sehen ist: Die Alpen, das Mittelmeer, sogar die Pyramiden von Gizeh kann er trotz der Höhe klar erkennen. Kurz danach glitzert das Rote Meer in der Sonne auf, drum herum nur Wüste, und dann geht die Maschine auch schon runter und landet. Peter und Ramona sind aufgeregt, mit dem Bus werden sie zur Ankunftshalle gefahren, fast zeitgleich mit fünfzehn anderen Gelenkbussen von gerade gelandeten Fliegern aus deutschen Städten. Unvermittelt bricht die Hölle los, denn Dutzende von wild schreienden Männern – Vertreter diverser Reiseveranstalter – sammeln verwirrte Touristen um sich. Unglücklicherweise werden in diesem Moment auch noch zwei Flugzeugladungen mit Touristen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken zum Terminal gefahren. Das sorgt für ein kosmopolitisches Ambiente und heizt die Stimmung so richtig an. Die Ankunftshalle ist jetzt voller als jedes Fußballstadion.
Die Vertreter verteilen etwas, das wie große Briefmarken aussieht, aber Einreisevisa sein sollen. Ramona schwitzt und bekommt große rote Flecken am Hals, denn diese Situation ist nicht mit Staubsaugen oder Frauenturnen zu vergleichen. Aber schließlich hat sie es geschafft und hält ihre beiden Pässe mit eingeklebten Visamarken in Händen. Peter und sie drängen nun in Richtung Passkontrolle. 500 Menschen stehen ihnen da aber im Weg.
In diesem Moment würde Ramona gern wieder zurückfliegen. Sie zischt ihrem Mann zu: «Du wolltest nach Ägypten, ich wollte nach Teneriffa.» Doch Peter weiß sich zu helfen und zischt zurück: «Aber du wolltest Sonnengarantie, und die gibt’s nur hier.»
Der Hals von Peter Unkelbach wird dicker und dicker. Er will Flagge zeigen und legt sich mit zwei Ukrainern in schwarzen Trainingshosen an. Wäre er schon einmal in der Ukraine gewesen, hätte er das gelassen. So muss er Lehrgeld zahlen. Ein Hieb einer ukrainischen Faust auf seinen kleinen Rucksack – und der liegt auf dem Boden. Beim Aufheben steht aber immer ein Trainingshosenbein mit einem Kunstlederschuh im Weg. Die Ukrainer haben Spaß, und Peter Unkelbach würde jetzt auch gern wieder nach Hause fliegen.
Wenn man vor den Passkontrollstellen steht – von denen es zwanzig gibt, aber nur sechs geöffnete –, am Ende einer fünfzig Meter langen Menschenschlange, sieht sie einer echten Schlange tatsächlich sehr ähnlich. Aber bei dreißig Metern vor dem Ziel muss man sie sich schon schönreden. Wobei: Wenn eine Schlange zum Beispiel ein Schaf hinunterschlucken will und das Schaf ein wenig stecken bleibt, dann trifft es wieder das Schlangenbild, das Ramona und Peter vor sich haben. Beträgt der Abstand jedoch nur fünf Meter, müsste die Schlange schon einen Möbelwagen querschlucken, aber das macht glücklicherweise keine normale und gesunde Schlange. So geschieht es aber, dass aus Peter Unkelbach, nachdem er nur noch diese fünf Meter zu bewältigen hat, ad hoc eine halbe Ukrainerin wird. Der Luftraum hat sich derart verkleinert, dass seine Nase in die blondierten Haare einer Ukrainerin vor ihm ein- und ausatmen muss. Auch weiß er nicht mehr, ob die weißen Leggings mit den goldenen Hintertaschen oder doch die Trevirahose mit Dehnbund sein Beinkleid darstellen.
Gut achtzig Zentimeter vor dem Ziel erlebt das Ehepaar Unkelbach eine böse Überraschung: Die Passkontrollstelle, die sie angesteuert haben, wird geschlossen. Ramona versteinert fast zur Salzsäule, Peter jammert, weil er nicht weiß, was zu tun ist: stehen bleiben und hoffen, dass der
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