Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt: Urlaub in der Hölle
Passbeamte nicht erst nach Stunden wiederkommt, oder in die Nachbarschlange wechseln, die auch schon lange ein quergestellter Möbelwagen ist? Die Unkelbachs entscheiden sich schließlich für die Zwei-Fronten-Methode. Ramona verlegt ihren Oberkörperschwerpunkt nach links, was lediglich zur Folge hat, dass ein Ukrainer in der Nachbarschlange eine Oberkörperschwerpunktverlagerung nach rechts vornimmt. Das Ende vom Lied: Sie wird zum Outlaw. Die eine Schicksalsgemeinschaft hat sie ausgestoßen, die andere verweigert die Aufnahme. Peter hat auf Kontinuität gesetzt, was belohnt wird.
Der Passbeamte kehrt erstaunlich schnell zurück, und Frau Unkelbach findet gnädige Aufnahme in ihrer alten Schlange beziehungsweise in ihrem alten Möbelwagen. Nach weiteren neunzig Minuten stehen sie an der magischen gelben Linie. Vor ihnen befindet sich nur noch die blondierte Ukrainerin, und die hat sich für den Passbeamten etwas sehr Schönes einfallen lassen. Sie trägt einen flauschigen Pullover mit V-Ausschnitt, wobei das V ein ukrainisches V sein muss. Wir haben nicht so große Vs. Dem Passmann gefällt das ukrainische V sehr gut, weshalb er mehrere Fragen stellen muss: «Ferien? Mit Mann? Ägypten erstes Mal?» Nach den Fragen verlegt er sich auf aussagekräftige Bemerkungen: «Herrlich ist es hier in Ägypten. Und Svetlana, das ist übrigens ein hübscher Name. Ich heiße Abdullah, das ist auch ein hübscher Name», um abschließend festzustellen: «Du bist sehr schön, und auch sehr jung.» Svetlana zieht das V noch ein wenig straffer nach unten und zeigt Abdullah ihr schönstes und kältestes Lächeln. Wenn man aus der Kälte kommt, muss auch das Lächeln erst einmal warm werden.
Bei Ramona und Peter geht es schneller, sie sind eben weder schön noch jung. Und einen V-Pullover tragen sie auch nicht, nicht einmal Frau Unkelbach.
Dann endlich sind die Gepäckbänder in Sicht.
Das Gepäck wird in Hurghada vom Band direkt auf große Haufen geworfen. Das vergrößert das Chaos und bringt den Gepäckträgern, die sich hier verständlicherweise als Gepäcksucher bezeichnen, ein schönes Trinkgeld ein. Aber Peter verzichtet auf eine suchende, also rettende Hand, bis er sich nicht mehr zu helfen weiß und sich helfen lässt. Dafür muss er seine knappbemessene Reisekasse anbrechen, er hatte ja mit AI gerechnet.
Draußen, vor dem Flughafengebäude, werden Ramona und Peter von einer strahlenden Sonne empfangen, aber auch von einem starken Wind, viel Staub, umherfliegenden Plastiktüten und vielen bunten Flaggen, um den Weizen von der Spreu zu trennen. Aber was ist Weizen, und was ist Spreu? Neckermann oder alltours?
Nach einigem erneuten Suchen finden Ramona und Peter ihren Bus, lassen ihr Gepäck verstauen, gegen Trinkgeld, und setzen sich in die letzte Reihe. Eine halbe Stunde später ist der Bus voll, der Reiseleiter steigt ein und hält eine kleine Rede:
«Herzlich willkommen in unsere schöne Land, jetzt fahren wir in Ihre schöne Hotel mit schöne Esse. Und keine Angst vor Revolution, keine Revolution hier!»
Hurghada bleibt am Wegesrand liegen, gut so.
Hurghada ist nämlich keine Stadt, Hurghada ist die größte Baustelle Afrikas. Allerdings muss laut Definition auf einer Baustelle auch irgendeine Bautätigkeit stattfinden. Das ist aber auf den hunderttausend Baustellen in und um Hurghada nicht der Fall, also muss man hier doch eher von Ruinen sprechen. Ruinen hat Ägypten zwar schon genug, allerdings nur am Nil. Und da haben sich die Tourismusmanager, die das Rote Meer verwalten, wohl gedacht, dass man den Gästen mehr als Sonne und Meer bieten sollte, Ruinen eben. Ruinen, die den alten von Luxor richtig Konkurrenz machen. Der Plan ist auch aufgegangen. Vor lauter Ruinen sieht man die Wüste nicht mehr, leider aber auch nicht mehr das Rote Meer. Ob das riesige Ruinenfeld von Hurghada zum Weltkulturerbe ernannt wird, bleibt abzuwarten; ich würde es den Ägyptern gönnen. Es war einfach eine Menge Arbeit, die Wüste so umzugestalten.
Dort, wo das Ruinenfeld von Hurghada seine größten Attraktionen bereithält, liegt auch die südliche Hotelzone dieser einmaligen Gegend, und genau zu ihr fährt jetzt der Bus mit Peter und Ramona Unkelbach.
Das Feriendomizil der beiden sieht großartig aus. Aber viele Gebäude sehen fast automatisch großartig aus, wenn sie in der Wüste stehen. Das hat nichts mit einer Fata Morgana zu tun, eher damit, dass eine Wüste an sich öde ist. Vor dem Hotel der Unkelbachs steht sogar eine
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