Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt: Urlaub in der Hölle
so hatte ich es jedenfalls im Reiseführer gelesen. Die Orientierung fiel leicht, ich musste immer nur der größten Straße nach Osten folgen, Dipkarpaz war ausgeschildert. Es wurde immer einsamer, nicht einmal einen Lichtschein konnte ich schließlich mehr entdecken. Haben die hier überhaupt Strom?, schoss es mir durch den Kopf.
In Dipkarpaz wurde ich beruhigt. Ein paar Straßenlaternen tauchten den Ort in trübes Licht, ich erkannte eine kleine Straßenkreuzung, eine Tankstelle und sogar ein unscheinbares Hinweisschild auf meine Unterkunft. Ein ehemaliges bäuerliches Anwesen, das zu einem Gästehaus umgebaut worden war. Auch hier herrschte Totenstille, nur Hunde kläfften freudig um die Wette, als ich aus dem Auto stieg. Kein Mensch war zu sehen, weder ein Gast noch ein Angestellter. Das sah nun wirklich ganz stark nach einem Traumurlaub in meinem «Nichtland» aus. An der Tür der kleinen Rezeption hing ein Zettel für mich, darauf stand auf Englisch: «Ihr Zimmer hat die Nummer 9, Schlüssel steckt.» Zimmer 9 lag im alten Teil des kleinen Gebäudekomplexes, vor der Tür leuchtete eine schummrige gelbe Glühbirne, der Schlüssel steckte wie versprochen. Die Einrichtung gefiel mir, ganz in einem passenden alten Bauernhof-Style: ein altes Messingbett, ein wackliger, aber hübscher alter Holzschrank mit aufgemaltem Blumenmuster, ein verschossener, ehemals roter Sessel und in einer Ecke eine sehr provisorisch eingebaute Duschkabine neben einem Waschbecken, das in zwei Teile zersprungen war und mit Silikon notdürftig zusammengehalten wurde. Ich war glücklich und schlief augenblicklich ein.
Aufwachen. Sonnenschein. Hunger. Das Frühstück am nächsten Morgen war jedoch speziell. Das Büfett war, um es verhalten zu sagen, sehr gut sortiert. Man könnte auch sagen: wahnsinnig akkurat angerichtet. Drei Tomaten hatte man in gleich große Scheiben geschnitten, genau das gleiche Schicksal hatte eine halbe Gurke ereilt. Weiterhin dreizehn grüne Oliven, fünfundzwanzig schwarze Oliven und acht Stücke Schafskäse, jeweils in viel zu großen silbernen Blechschalen. Dazu Weißbrot, das zwar weiß war, aber mit Brot wenig gemein hatte, und heißes Wasser für Nescafé. Alles passte auf einen überschaubaren Beistelltisch gleich neben einem Schreibpult, das wohl die Rezeption darstellte. Ich war der erste Gast, aber kurz nach mir setzte sich ein englischsprechendes Ehepaar, schon mit Wanderschuhen und Rucksack ausgestattet, an einen Tisch auf der kleinen Sonnenterrasse des Frühstücksraums.
Auf den Chef dieses ungewöhnlichen Ambientes, einen schlanken jungen Mann, der wohl im fernen Ostanatolien, am Fuße des biblischen Berges Ararat, die Kunde vernommen hatte, dass es in Nordzypern für Typen wie ihn allerbeste Karrierechancen im Hotelgewerbe gab, hatte dieses präzise Arrangement abgefärbt. Oder war es umgekehrt? In einem frischgestärkten weißen Hemd, mit braunen Buntfaltenhosen und ordentlich polierten schwarzen, spitzen Schuhen stand er vor mir. «Hassan» war auf einem Namensschild an seinem Hemd zu lesen. Er sah mürrisch und übernächtigt aus, trug den klassischen Dreitagebart (akkurat dahingetrimmt) und hatte perfekt nach hinten gekämmte, schwarzglänzende Haare. Wer viele Jahre unter der heißen anatolischen Sonne arbeiten musste, dabei jede Menge Zigaretten inhalierte, von seinem herrischen Vater drangsaliert wurde und sich nicht weniger als mit sechs Brüdern herumschlug, der hat vermutlich gern mal so einen tristen Gesichtsausdruck.
«Möchten Sie ein Ei?» Das war Hassans erste Frage an mich.
Da er mir auf nüchternem Magen mit seiner düsteren Miene Angst machte, nickte ich. «Bitte hartgekocht.» Da kann man nicht viel falsch machen, dachte ich. War auch so. Das Ei war nur sehr hartgekocht, etwa so hart wie der steinige und karge Boden seiner Heimat.
Im weiteren Verlauf der Frühstücksorgie achtete Hassan genau darauf, dass ich nicht zu viel von dem Büfett nahm und auf gar keinen Fall seine Ordnung auf dem Beistelltisch zerstörte. Dabei schaute er mich an, als hätte ich ihn zu Dienstleistungen verdonnert, die seinem ostanatolischem Freiheitsdrang nicht genügend Raum lassen würden und die ihn daran hinderten, draußen die erste Frühstückszigarette zu rauchen. Nach der Teilung der Insel Zypern 1974 haben die Türken viele Landsleute aus Anatolien in den nördlichen Teil Zyperns umgesiedelt, um die Lücken zu schließen, die die griechischen Zyprioten auf ihrer Flucht in den Süden
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