Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt: Urlaub in der Hölle
hinterlassen hatten. Seitdem leben Griechen und griechische Zyprioten im Süden und Türken und türkische Zyprioten im Norden der Insel. Fein säuberlich getrennt wie das Frühstück.
Dessen Übersichtlichkeit in Kombination mit einem angsteinflößenden Hassan hatte am Ende jedoch auch seine guten Seiten. Ich schlug am Frühstückstisch keine Zeit tot. Über einen gepflasterten Weg, vorbei an knorrigen Olivenbäumen und einem alten Brunnen, ging ich zurück zu dem kleinen Seitengebäude, in dem mein Zimmer lag. Früher musste das mal ein Stall oder ein Heuschober gewesen sein. Bei Tageslicht sah meine Unterkunft geradezu idyllisch aus, abgesehen von dem Ehepaar auf der Terrasse, hatte ich auch keinen weiteren Touristen ausgemacht.
Ich holte mein Portemonnaie und begab mich auf die Suche nach einem Supermarkt. Ich wollte Proviant für eine Tagesexkursion über die Karpaz-Halbinsel einkaufen. Nach einem Rundgang durch den Ort konnte ich angesichts eigener Recherchen konstatieren, dass es etwa zehn Supermärkte in Dipkarpaz gab, nicht schlecht für zirka 3000 Einwohner. Aber das Sortiment war wie mein Frühstück, übersichtlich und wenig abwechslungsreich.
Ein Supermarkt, kaum fünfzig Meter von meiner Unterkunft entfernt, war dann aber doch etwas Besonderes. Er wurde gerade komplett renoviert. Alle Waren lagen unsortiert in einer Ecke, alte Blechregale zertrümmert daneben. Die neuen Holzregale wurden vor dem Supermarkt zusammengezimmert. Innen wie außen sah es wie nach einem Bombenangriff aus. Ein junger Mann thronte auf einem weißen Plastikstuhl wie ein Buddha in diesem Chaos. Er trug ein verblichenes T-Shirt mit einem Che-Guevara-Konterfei auf der Brust, eine sehr, sehr tief sitzende Jeans, wenigstens vermutete ich das angesichts der Tatsache, dass sie vorrangig die Knie bedeckte, und, na klar, Badelatschen. Er konnte mir trotz seiner Sitzposition im Handumdrehen zwei staubige Wasserflaschen und eine Kekspackung aus dem Haufen fischen. Ich war beeindruckt, noch mehr, als der Erleuchtete mir aus seinem jungen Leben erzählte, und das alles in einem Englisch, das meinem in nichts nachstand. Es war nicht gut, aber gut zu verstehen.
«Ich heiße Ali, und wie heißt du?»
«Mikka, und ich komme aus Deutschland.»
«Weißt du, ich bringe jetzt diesen Laden auf Vordermann, und heute Nachmittag übernehme ich das Restaurant meines Onkels am Golden Beach.»
«Wie alt bist du denn, mein Freund?»
«Sechzehn, aber ich kann kochen wie ein junger Gott.»
«Und wo hast du das gelernt?»
«Hier im Laden, bei meiner Tante. Morgens muss ich immer auf ihren Sohn aufpassen, der ist drei und hat ständig Hunger. Siehst du, da draußen steht mein Kerosinkocher. Darauf zaubere ich immer was für meinen Neffen.» Ali zeigte mit dem Finger durch die schmutzige Fensterscheibe, dann fuhr er fort: «Ich sag’s dir. Komm zu mir zum Essen, du wirst staunen.»
Ich versprach es.
Nach meinem Einkauf fuhr ich mit meinem Mietwagen los, tatsächlich auch in Richtung Big Sands Beach, meist Golden Beach genannt. Aber da es Zyperns schönster Strand ist, fast am Ende der Karpaz-Halbinsel, war ich auf diese Idee nicht erst durch Ali gekommen. Ich hatte ja für den heutigen Tag eine Inselbesichtigung geplant, und durch meinen Reiseführer war ich über die Attraktionen dieser Gegend informiert. Auch darüber, dass auf den einsamen und kargen Hängen hier noch wilde Esel grasen sollten, angeblich über tausend. Zypriotische Bauern hatten auf der Flucht vor den Türken seinerzeit ihre Esel im Stich gelassen, die hatten sich dann in sicheres Terrain auf der Halbinsel zurückgezogen, munter vermehrt und verwüsteten nun – aus später Rache sozusagen – immer wieder die Ernte der türkischen Bauern, wenn die ihnen mit ihren Feldern zu nah aufs Fell rückten.
Es war Ende Oktober, es war warm, wolkenlos und überall auf den Straßen menschenleer. Nach dreißig Minuten stand ich am Golden Beach, rechts und links nichts als Sand, vor mir das Mittelmeer und hinter mir Dünen.
Blitzschnell zog ich meine Badehose an, hetzte den staubigen und heißen Weg zum Strand und stand am Wasser. Keine andere Menschenseele war zu sehen, was für ein Traum! Bei genauerem Hinsehen entdeckte ich dann doch noch verrostete und zerfetzte Sonnenschirme, zerbrochene Plastikliegen und direkt an der Wasserkante einen in allen Farben schillernden Sand. Aha. Das hier war kein echter Sand, sondern einer aus Plastik. So, wie Steine zu Steinsand werden, wird
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