Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt: Urlaub in der Hölle
fremd. Der kritische Rheinländer könnte jetzt natürlich sagen: «Auf platte Werbesprüche falle ich nicht rein.» Aber besonders an kalten und nassen Winterabenden kommt ein handfestes Argument auf den Tisch beziehungsweise aus dem Flachbildschirm, das auch der widerspenstigste Geist nicht so einfach wegwischen kann: die Sendung Traumschiff . Schöne Menschen in schönen Kleidern wandeln da über weiße Strände und trinken bunte Cocktails. Fast alle haben sich lieb, nur ein paar Stänkerer sorgen für die nötige Würze. Auf dem Traumschiff findet ein Traumurlaub statt, und auf den AIDA-Schiffen wird daraus Wirklichkeit für Hinz und Kunz.
Kein Wunder, dass ich das versprochene grenzenlose Reisevergnügen am eigenen Leib spüren muss. Eine Woche lang will ich mich in der Karibik treiben lassen, nette Menschen kennenlernen und herausfinden, ob die große AIDA-Familie bereit ist, mich aufzunehmen.
Mit ihr zu reisen bedeutet, laut Prospekt, auch «privilegiert zu reisen». Davon merkt man bei der Anreise aus Deutschland erst einmal noch nicht viel. Am Flughafen in Frankfurt stehen neben mir in der Schlange vor dem Schalter auch normale Karibik-Urlauber. Und im Flieger fällt mir auch nicht auf, dass ich bevorzugt behandelt werde. Aber ich kann schon ein wenig ahnen, was mich erwartet. Von Sitzreihe 1 bis 45 höre ich: «Ich bin schon zum zehnten Mal mit der AIDA unterwegs. Ich kann mir gar keinen anderen Urlaub mehr vorstellen. Jedes Jahr treffe ich auf einem der Schiffe meine Freunde wieder.»
Am Flughafen in La Romana, einer kleinen Stadt im Südosten der Dominikanischen Republik, warten schon lächelnde AIDA-Scouts auf mich und meinen Koffer. Sie schicken mich zu Bus Nummer sieben, und mit ihm fahren fünfzig Kreuzfahrer und ich zum AIDA-Schiff Luna, kaum zehn Minuten dauert der Transfer. Als ich aus dem Gefährt aussteige, stehe ich im Schatten vor dem riesigen Dampfer mit dem roten Kussmund. Einige meiner Mitreisenden winken den Oberdecks zu, wo sie alte Bekannte entdecken. Beim Einchecken, noch an Land, und zur Unterhaltung begleitet von einem Clown, bekomme ich eine bunte Plastikkarte, die für sieben Tage meine weitere Existenz sichern wird. Ein schmaler Steg führt nun in den Bauch des Schiffs, und da werde ich erst einmal gescannt, wie am Flughafen. Nicht nur Spaß wird groß geschrieben an Bord, auch die Sicherheit.
Nach Schiff sieht es im Innern aber nicht mehr aus, eher nach einem kultivierten Fünf-Sterne-Hotel. Alles blinkt und glitzert, ist hell erleuchtet. In einem Aufzug fahre ich in die siebte Etage. Als AIDA-Kenner wüsste ich jetzt den Weg, aber als blutiger Anfänger irre ich durch die immer länger werdenden Gänge, bis schließlich meine Karte in Tür Nr. 7007 passt.
Mit AIDA reisen heißt «auf Entdeckertour gehen». Also mache ich mich daran, die Kabine zu entdecken, was sich letztlich aber als wenig ergiebig herausstellt, da Innenkabine. Vielleicht, denke ich, ist die Schiffsentdeckung interessanter. Das gestaltet sich jedoch als schwierig, weil 1200 andere Entdecker ebenfalls auf Entdeckungstour sind. Relativ zügig strebe ich deshalb einen Tresen an und bestelle dort in Ermangelung eines Kölsch ein Radeberger. Die Barfrau lächelt sehr angenehm. Das gehört zur Schiffsphilosophie. Wer angelächelt wird, hat Lust zurückzulächeln. Davon bekommt man Durst, und schon wird die kleine bunte Plastikkarte durch den Schlitz gezogen und das Konto mit einem Bier belastet.
Kurz vor sieben Uhr stelle ich mich in eine Schlange vor dem sogenannten Marktrestaurant, das nichts anderes als ein Büfett ist. Ausschließlich Ehepaare stehen vor und hinter mir. Und die sehen sich verblüffend ähnlich. Er gern ein Bundfaltenhosenhochträger mit schmalem schwarzen Ledergürtel und Pilothemd. Sie vorzugsweise hochhackig und kniefreies Kleid, um die Taille einen breiten schwarzen Kunstledergürtel. Die meisten müssen sich zu Hause unter die Sonnenbank gelegt haben, da richtige Kreuzfahrer ja vom ersten Tag an wettergegerbt aussehen (müssen). Sie kennen sich aus auf den Weltmeeren, sie kann kein Sturm erschüttern, sie sind lässig. Und so tun sie jetzt auch, als würden sie gar nicht anstehen.
Die Stimmung ist erstaunlich steif – für AIDA-Verhältnisse. Beim Essen am Büfett hört der Spaß auf. Theoretisch herrscht freie Platzwahl, aber praktisch kennen viele Ehepaare andere Ehepaare, für die sie Plätze freihalten müssen. Einzelplätze sind also Mangelware. Nach der siebten Abfuhr setze ich
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