Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt: Urlaub in der Hölle
weilt, dann vergehen Minuten so langsam wie Stunden. Ich gebe auf. Ich habe keine Lust mehr auf liegen. Stattdessen mache ich eine Entdeckungstour über die oberen Schiffdecks.
Überall trinken Ehepaare bunte Cocktails. Ich setze mich zu zwei Paaren in die Sonne und stelle mich als Alleinreisender vor. Das erweckt bei den Damen Mitleid und bei den Herren … Genau kann ich das nicht einschätzen. Es scheint sie unangenehm an etwas zu erinnern. Die Schwarzhaarige auf dem Nebenstuhl spricht mir spontan Mut zu. «Sie müssen heute Abend unbedingt in die Anytime-Bar und danach in die Disko. Danach sind Sie definitiv nicht mehr allein. Hier bleibt keiner lange allein. Meinen Mann habe ich auch an Bord kennengelernt, die AIDA hat uns vor fünf Jahren zusammengebracht. Und wir sind immer noch glücklich, oder, Knut?» Knut, etwas behäbig mit schütter werdendem Blondhaar, nickt eifrig. Aber auch er will mich ein wenig aufbauen. «Sie müssen doch einem anderen Menschen mitteilen können, wenn Sie hier was erleben. Kommen Sie heute Abend mit uns, wenn Sie sich allein nicht trauen.» Das zweite Paar signalisiert ebenfalls durch ein Kopfnicken, dass es bereit ist, mir persönlich die AIDA-Luna-Welt näherzubringen. Ich weiß nur nicht so recht, ob ich dafür schon bereit bin. Mit einer vagen Zusicherung verabschiede ich mich von ihnen.
Während ich meine Bordexpedition fortsetze, entdecke ich noch ein paar Menschen wie mich, Einzelgänger und Einzelgängerinnen, die in den Ecken herumsitzen und angestrengt in Bücher schauen oder sentimental in die Ferne stieren. Es ist wirklich nicht schön, wenn man nicht dazugehört. Das ist, als ob man im Stadion in Köln in der Nordkurve steht, aber unter der Jacke einen Gladbach-Schal trägt. Natürlich könnte ich mir jetzt eine Bügelfaltenhose mit schmalem Ledergürtel im AIDA-Shop kaufen und eine Marianne von der Reling fragen, ob wir für ein paar Tage zusammen gehen können, aber einer mit einem Borussia-Schal hängt sich auch keinen FC-Schal um. Todsünde!
Ich werde ein einsamer Wolf bleiben, hege aber eine kleine Hoffnung. Wenn Ehepaare im Urlaub plötzlich ungewohnt viel Zeit miteinander verbringen müssen, dann kann das mitunter zu Problemen führen. Und gerade ein Seetag hat seine ganz eigenen Gesetze. An einem Seetag gibt es keinen Auslauf … Leider regnet es nicht, das hätte alles noch viel spannender gemacht.
Zusammen in der Kabine aufstehen: Das geht noch in Ordnung.
Zusammen frühstücken ohne Zeitung: kann streitfrei ausgehen, da andere Paare Gesprächsstoff liefern.
Zusammen zwei Liegen beanspruchen: null Krise, weil sie lesen und er schlafen kann.
Zusammen am Büfett einen Teller auffüllen: unproblematisch, wenn sie das Bier holt.
Zusammen in die Kabine für eine kleine Nummer: super, man ist ja im Urlaub.
Zusammen an der Bar sitzen und Cocktails trinken: Krise, da alles gesagt und getan ist. Er will jetzt Skat spielen und sie in die Wellness-Oase. Das ist meine Chance. Ich treffe Wolle aus Wanne-Eickel und Ulli aus Kiel. Wir haben viel Spaß beim Kartenspiel mit dem einen oder anderen Radeberger.
Auf einmal finde ich die AIDA-Luna amüsant. Für Skatspieler ist dieses Schiff nämlich ein Paradies: überall Sitzecken und überall Bierhähne. Zum Abendessen darf ich mit an den Tisch von Wolle und seiner Monika und von Ulli und seiner Gaby. Die vier machen schon seit Jahren zusammen Urlaub – natürlich auf der AIDA. Wolle und Monika betreiben eine Gebäudereinigungsfirma, Ulli und Gaby sind bei der Stadt fest angestellt. Risiko und Stress auf der einen Seite, Sicherheit und Langeweile auf der anderen Seite. Jetzt aber haben die vier Spaß.
«Wir haben uns aufs Fensterputzen in Privathäusern spezialisiert», erzählt Wolle. «Hausfrauen sind zwar extrem pingelig, wenn’s um ihre Fenster geht, aber sie zahlen sofort und gern auch mal ohne Rechnung.» Der große Vorteil von Wolle und seiner Frau ist, dass die beiden Mittdreißiger extrem seriös aussehen, als würden sie in einer Sparkasse arbeiten. Er trägt elegante Titanbrille, sauber gebürsteten Seitenscheitel und gestreiftes Button-Down-Hemd, sie jugendlichen Pferdeschwanz, elegante, kleine Goldohrringe und einen lässigen Hosenanzug in Braun. Denen würde ich, ohne zu zögern, meinen Hausschlüssel geben. Ulli und Gaby sehen dagegen gar nicht so seriös aus, eher ein wenig prollig. Ulli ist hier der Ohrringfan, er könnte sich auch mal wieder den Nacken ausrasieren lassen. Gaby steckt ziemlich
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