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Isabelle

Isabelle

Titel: Isabelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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diejenige, der etwas fehlt.«
    »Ben lenkt sicher wieder ein«, meinte Carolien beruhigend. »Er trägt eine große Verantwortung, und dein Vater fehlt ihm.«
    »Nach zwei Jahren müsste er doch allmählich drüber hinweg sein«, entgegnete Judith schroff.
    Ihre Mutter seufzte. »Er muss sich eben eingewöhnen. Du wirst schon sehen …«
    »Vielleicht hat er sich einfach nie an uns gewöhnen können.« Judith nahm sich geistesabwesend ein Sandwich und biss hinein. »Manchmal habe ich das Gefühl, als wüsste ich im Grunde gar nichts über ihn.«
    »Sprich bitte nicht mit vollem Mund«, ermahnte sie Carolien. »Ich habe deinen Vater auch nie richtig verstanden. Ich war immer diejenige, die alles in die Hand nehmen musste, genau wie du heute. Die Firma gehört jetzt dir; Bram war Gott sei Dank so vernünftig, dafür zu sorgen. Sei froh, dass du nach mir schlägst.«
    Wie aus dem Nichts war er auf der Tanzfläche erschienen, dachte Judith bei sich. Am nächsten Tag Rosen, einen Monat später verheiratet. Jetzt, vier Jahre später, kostete es sie Mühe, ihr Lächeln aufzusetzen, auf das sie so häufig zurückgreifen musste, um dahinter ihre permanente Unzufriedenheit zu verbergen.
    Der Türgong ertönte. »Meine Güte, da ist Ada ja schon«, sagte Judiths Mutter.
    Ben schrak aus einer Art Trance auf, als seine Sekretärin um halb fünf mit der Briefmappe in sein Büro kam. Hanneke war fünfundvierzig und Mutter zweier Töchter im Teenageralter. Sie hatte ihn von Anfang an geduzt und betüttelte ihn manchmal, als sei er ihr drittes halbwüchsiges Kind. Sie legte die Mappe auf seinen Schreibtisch, wandte sich ihm zu und schlug die Seiten für ihn um, sodass er die Briefe einen nach dem anderen unterzeichnen konnte.
    Er achtete überhaupt nicht auf den Inhalt, und nach dem dritten Brief hielt sie die Seite einen Augenblick lang aufgeschlagen. »Ich habe Renate gebeten, mein Deutsch zu korrigieren«, sagte sie. »Ist es so in Ordnung?«
    Ben nickte abwesend. Er unterzeichnete den Rest, stand auf und nahm seine Anzugjacke, die er über die Rückenlehne seines Stuhls gehängt hatte. »Ich muss jetzt gehen.«
    Hanneke ging mit der Mappe unter dem Arm einen Schritt rückwärts. »Bist du zu Hause erreichbar?«
    »Nein, ich glaube nicht.«
    »Judith hat mich gebeten, dich daran zu erinnern, dass ihr um sieben Uhr im La Provence mit den van Dooms zum Essen verabredet seid«, sagte Hanneke. »Sie hat um halb sechs noch einen Termin beim Friseur bekommen und fährt von da aus direkt zum Restaurant. Ist das der Anzug für das Dinner? Du hättest das Jackett besser auf einen Bügel hängen sollen.«
    Ben hielt geduldig still, während Hanneke Ermahnun gen murmelnd die Falten aus dem Kragen seines Jacketts herauszupfte und anschließend seine Krawatte zurecht zog.
    »Ich danke dir, Hanna«, sagte er. »Ist gut so. Ich muss jetzt wirklich los.« Er sah den unsicheren Ausdruck in ihren Augen und fügte hinzu: »Mach dir keine Sorgen. Es kommt schon alles wieder in Ordnung.«
    »Ich habe den Streit natürlich mitbekommen«, sagte sie. »Schließlich sitze ich direkt nebenan. Vielleicht soll test du …« Sie sprach ihren Satz nicht zu Ende und trat zurück. »Aber selbstverständlich geht mich das nichts an.«
    Ben nickte und ging an ihr vorbei zur Tür.
    »Man muss Geduld haben«, hörte er sie dann doch noch sagen.
    Eilig lief er den Flur entlang und ignorierte das dringli che Gefuchtel Kaldings hinter der Glasscheibe von dessen Büro.
    Geduld, dachte er. Wozu?
    Er war sich darüber im Klaren, dass ihre Kinderlosig keit nur ein vorgeschobener Grund war und nicht die eigentliche Ursache. Es gab eine ganze Reihe von Ursa chen, die ihnen das Leben in Langeweile, Unzufriedenheit und einem trübseligen kalten Krieg sauer werden ließ. »Judith ist eine schwierige Frau, genau wie ihre Mutter«, hatte Bram ihm einmal in einer Anwandlung von Nieder geschlagenheit anvertraut. »Wenn man ihr etwas sagt, gibt sie einfach keine Antwort, sodass man das Gefühl hat, das Gleiche ständig noch mal sagen zu müssen. Sie kommandiert einen rum und sagt, man solle endlich den Aschenbecher leeren, obwohl sie sieht, dass man das sel ber gerade vorhatte. So was kann einen zur Weißglut treiben. Sie wissen alles besser, sowohl Judith als auch ihre Mutter. Dabei haben beide einen scharfen Verstand, einen schärferen als ich, das muss man zugeben.«
    Bram hatte sich sein halbes Leben lang in Geduld geübt und dabei wenig mehr erreicht, als dass er gelernt hatte,

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