Isabelle
schräg standen. Manche Männer behaupteten, gerade dadurch wirke ihr Gesicht so apart, aber diese Art von Sprüchen nahm sie nicht ernst. Spöttisch betrachtete sie ihr Spiegelbild. Zu allem Überfluss hinkte sie auch noch, jedenfalls ein ganz kleines bisschen. Sie dachte an Ben und hatte plötzlich Angst, dass sie sich in ihm täuschte, dass er genauso war wie alle anderen und nur mit ihr ins Bett wollte.
Mit Gerard war es nur am Anfang ein paar Mal nett gewesen. Danach schien es, als sei er ihrer überdrüssig geworden, und das Ganze wurde zu einer Art Gewohnheit, die ihr immer weniger bedeutete und sie nur noch selten befriedigte. Gerard brachte ihr nie etwas mit, während sie seine Kleidung wusch, für ihn kochte und seine abscheuliche Mietwohnung sauber hielt. Zunächst hatte er so getan, als möge er ihre Musik, aber nach einem halben Jahr fand er, das sei Gezumsel für alte Damen. Nie mehr sagte er ihr, dass sie schön sei, noch nicht einmal mehr, dass sie einen hübschen Silberblick habe.
Als sie eines Tages früher von der Arbeit nach Hause kam, weil sie Kopfschmerzen hatte, fand sie ihn mit einem Mädchen im Bett, das er mit seinem Taxi aufgelesen hatte. Ordinärer ging es nicht. Was ich hier sehe, ist ein Klischee, hatte sie gedacht, als sie in der Tür des Schlafzimmers stand, die Panik des Mädchens und Gerards Machogehabe vor Augen. Vielleicht waren Klischees das Einzige, was sich einem für alle Zeiten einprägte. Sie hatte ihren Koffer gepackt und war zurück zu Tante Maran gegangen, die sich natürlich die Bemerkung nicht hatte verkneifen können, das habe sie von Anfang an kommen sehen.
Danach hatte es noch ein paar andere Männer gegeben, aber sie machte sich zunehmend große Sorgen wegen Aids. Ihr fiel auf, dass die Männer, mit denen sie ausging, immer schon am ersten Abend mit ihr ins Bett wollten und Kondome verabscheuten. Sie sagte sich, wenn sie das bei ihr so machten, dann wohl auch bei allen anderen, und das war ihr einfach zu riskant.
Vor einem Jahr hatte sie beschlossen, lieber zu warten, bis sie einem Mann wirklich vertraute.
Isabelle spitzte die Lippen und fragte sich, wie man jemand anderem vertrauen konnte, wenn all die Irrtümer, die man beging, deutlich zeigten, dass man noch nicht einmal sich selbst über den Weg trauen konnte.
Sie dachte an seine Augen und an seine Hände, die eine mit der Narbe und die andere mit dem Ehering, und an das Gefühl der Verwirrung, das ihr die Kehle zuschnürte. Sie hegte oft insgeheim die Hoffnung, dass der ganze mit Irrtümern gepflasterte Weg vorherbestimmt war, weil irgendwo eine zweite Hälfte für einen existierte, die nur darauf wartete, entdeckt zu werden. Sie hatte immer befürchtet, sie würde zu gegebener Zeit den Richtigen nicht erkennen oder sie könne den Falschen dafür halten.
Eine Frau mit einem kleinen Mädchen an der Hand kam in die Toilette, und Isabelle packte ihre Sachen zurück in die Tasche, machte sie zu und eilte nach oben. Im Eingangsbereich blieb sie wieder stehen. Noch konnte sie zurück. Letty sah sie auch und hob ihre freie Hand mit fünf gestreckten Fingern. Noch fünf Minuten.
Isabelle winkte ihr zu und ging zum Ausgang. Sie ließ den Blick über die Reihen der geparkten Autos schweifen und lief die gefliesten Stufen der Eingangstreppe hinunter.
Ein Stück weit entfernt saß jemand in einem großen Auto und las Zeitung. Sie ging hin, aber als sie näher kam, sah sie, dass es kein BMW war und dass es sich um jemand anderen handeln musste. Sie erkannte die Internati onal Herald Tribune, die sie auch im Restaurant hatten. Als der Mann seine Zeitung ein wenig sinken ließ, sah Isabelle sofort, dass es nicht Ben sein konnte. Sie wandte verlegen den Blick ab und drehte sich zur anderen Seite des Parkplatzes um.
Er ist weg, dachte sie. Ich stehe hier wie eine Närrin.
Ich habe Letty nichts gesagt, schoss es ihr durch den Kopf. Ich brauche nichts zu erklären, ich kann einfach zurückgehen, ich kann mit Letty zusammen essen und vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause bei Tante Maran sein.
Als sie in Richtung der Eingangstreppe zurückging, ertönte ein Hupen. Dicht neben dem Ausgang rollte ein dunkler BMW aus einer Parklücke und hielt an.
Isabelle erschauerte vor Erleichterung. Sie rannte hin. Sie sah, wie Ben zur Beifahrertür hinüberreichte, und sie zog sie weiter auf und stieg ein. Es war ein großes, teures Auto, alles roch neu, und der Sitz war wunderbar weich. Sie betrachtete die Innenausstattung und mied
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