Isabelle
Mädchen, das meint, Bonvenu gesehen zu haben …«
»Im Gegenteil, der Rest ist sonnenklar«, entgegnete Max ungeduldig. »Didier fragt seine Bekannten in Mar seille um Rat. Millessandri hat ein Interesse daran, dass Didier alleiniger Besitzer des Weingutes bleibt, aber ihm ist auch klar, dass es zu riskant ist, Didier direkt in die Lösung des Problems mit einzubeziehen. Didier nennt ihm De Canter als Mittelsmann. Er instruiert De Canter, dem Mann, der aus Marseille kommt, die nötigen Infor mationen zukommen zu lassen, und wäscht seine Hände in Unschuld. Die Leute aus Marseille schicken Noël Bon venu, einen professionellen Auftragskiller, der zudem noch das unwahrscheinliche Glück hat, dass Alex Lafont unter dem Namen Hinstra in das Zeugenschutzprogramm des FBI aufgenommen worden war, sodass da nach allgemein angenommen wurde, er sei von einem amerikanischen Gangster liquidiert worden. Der Name Lafont ist gar niemandem in den Sinn gekommen. Der ganze Mordfall drehte sich um Hinstra alias Visser.«
Conincx wandte sich an Max. »Aber was hatte Bonve nu noch in Antwerpen zu suchen, als du neulich mit dei ner Kollegin hier warst und ihr die Fotos von ihm ge macht habt?«
»Bonvenu war gar nicht in Antwerpen. Er ist in der Nacht mit dem Zug aus Paris gekommen. De Canter konnte ihn unter einer Telefonnummer in Paris errei chen.«
»Haben wir diese Nummer?«
»Es ist die Nummer von einem Auftragsdienst. Gib sie den Franzosen, die können da mal nachhören, aber ich glaube, sie werden nichts finden. Marseille hat Bonvenu schon längst zurückgepfiffen und die Schotten dichtge macht. Bonvenu könnte schon im Kongo sein.«
Conincx schüttelte verärgert den Kopf. »Ich kann De Canter nicht länger festhalten«, sagte er. »Er ist ein widerlicher Typ und ein schlauer Fuchs dazu, die Art von Privatdetektiv, über den zwar Beschwerden kommen, gegen den man aber nichts unternehmen kann. Wenn wir nicht aufpassen, reicht er noch eine Klage ein.«
»Das wird er schön bleiben lassen«, meinte Kleiweg. »Hat man bei der Haussuchung Material über Didier gefunden?«
»Natürlich. Didier ist einer seiner Klienten. De Canter hat ihm eine Rechnung für seine Recherchen in den Niederlanden ausgestellt. Den Bonus streicht er natürlich unter der Hand ein, über die illegalen Sachen gibt es nichts Schriftliches. Ich lasse ihn gleich raus, aber wir werden ihn im Auge behalten. Für den Fall, dass sie Didier Lafont zu fassen kriegen. Oder Bonvenu. Oder falls jemand redet. Falls, falls.«
Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen machte er sich keine großen Hoffnungen.
Die Klinik lag in den Ardennen. Schnee bedeckte die hügeligen Wiesen und die umliegenden Tannenwälder. Die Luft prickelte, die Sonne schien. In der Umgebung gab es Möglichkeiten zum Skilaufen, und einige Ärzte und andere Mitglieder des Personals hatten Skier auf die Dackgepäckträger ihrer Autos geschnallt.
Sie brauchte nicht mehr zu laufen, und von ihr wurde keinerlei körperliche Anstrengung verlangt, aber Isabelle spürte trotzdem das Gewicht in ihrem Bauch und diesen anderen Druck, der immer schwerer wurde und ihren Blick für konkrete Formen und Dinge zu trüben schien. Dieser Druck war wie der Schnee auf dem Gebäude, einem dreistöckigen Chalet, das auf der Rückseite fächerförmig von drei kurzen, niedrigen Pavillons für die Patienten umgeben war. Der Schnee verdeckte alle Formen, machte die Konturen weicher, verbarg die Details von Schornsteinen und Belüftungsrohren, Antennen, Regenrinnen, Balustraden.
Sie schlafwandelte durch einen Traum. Ihre Suite in einem der Pavillons wirkte nicht wie ein Krankenzimmer. Morgens erhielt sie Besuch von einem indischen Gynäkologen, gefolgt von einer energischen Spezialistin, die Übungen mit ihr durchführte. Schwestern und Angestellte kamen und gingen. Ihre Stimmen klangen gedämpft und unwirklich, als gehörten sie nicht zur realen Welt, sondern zu einer anderen Dimension. Sie brauchte nichts weiter zu tun als zu warten, zu schlafen, zu lesen und im Luxus ihrer Suite vor sich hin zu vegetieren. Es gab einen Großbild-Fernseher, eine private Terrasse, und ihre Gerichte wählte sie aus ledergebundenen Speisekarten aus.
Nachmittags ließ sie sich von Letty in einem komfortablen Rollstuhl herumfahren. Warm eingepackt in Wollplaids ging es über vom Schnee frei geräumte Wege; harte, kalte, dunkle Asphaltstreifen, eingebettet in Weiß, die ihr Schwindelgefühle verursachten. Alle Leute hier waren freundlich,
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