Isabelle
als sei ich gar nicht mehr ich selbst.«
»Warum willst du nicht mal mit dem Therapeuten re den?«
»Ich muss mein eigenes Leben führen können. Ich bin kein Opfer.«
Letty schwieg für einen Moment und lachte dann spöt tisch. »Ein Opfer in einem Fünf-Sterne-Palast, mit einer Viertelmillion auf der Bank, das würde ich mir jeden Tag gefallen lassen.«
Isabelle zwang sich zu einem Lächeln. »Es ist ein Lu xusproblem«, gab sie zu.
»Genau. Und jetzt leg dich wieder hin.«
Letty wollte aufstehen, aber Isabelle nahm ihre Hand. »Bitte bleib noch einen Moment.«
Letty spürte an ihrem Griff, wie sehr sie sie jetzt brauchte. »Okay, dann rück mal ein Stück.«
Isabelle verlagerte ihren schweren Leib. Ihr Bauch er hob sich wie ein Berg unter der Bettdecke. Letty schob mit, hob die Decke an und legte sich neben sie auf die Seite. Das Bett war breit genug. Sie legte ihre Hand auf Isabelles Bauch und spürte das leichte Treten und Stoßen. »Es dauert nicht mehr lange«, flüsterte sie.
Isabelle legte ihre Hand auf die von Letty. »Das ist die Hand von deiner Tante«, flüsterte sie ihrem Bauch zu.
Letty betrachtete im sanften Licht ihr Profil. »Ich wür de schon gerne Patentante werden«, sagte sie. »Und viel leicht brauchst du ja auch noch einen erziehungsberechtigten Vormund?«
»Du darfst alles werden, was du willst.«
»Wann erzählst du es der anderen Tante?«
»Tante Maran?« Isabelle schüttelte den Kopf. »Manchmal habe ich schon Gewissensbisse, aber ich möchte sie erst besuchen, wenn alles soweit über die Bühne gegangen ist.«
Letty grinste. »Die kriegt einen Herzinfarkt. Das zweitgrößte Ereignis in ihrem Leben. Erst steht deine Mutter hochschwanger bei ihr vor der Tür und jetzt du, schon mit fertigem Baby.«
»Ich gehe nicht zu ihr zurück.« Isabelle zögerte und fügte dann hinzu: »Und ich werde auch nicht sterben.«
Letty rieb über ihren Bauch. Sie schwiegen eine Weile, und dann bekannte Isabelle flüsternd: »Manchmal rede ich mir ein, dass es nur eines ist.«
»Das kann ich gut verstehen«, antwortete Letty, ebenfalls flüsternd. »So versucht dein Verstand, damit umzugehen.«
»Es kommt mir vor wie Verrat.«
Letty erwiderte nichts. Sie konnte nicht wieder mit voll geschissenen Windeln oder dem unhandlichen Kinderwagen anfangen, damit, wie sie zwei Kinder großziehen wollte oder dass sie ein gutes Werk tat, weil der Vater schließlich der Mann der anderen Frau gewesen war, die genauso ein Anrecht auf ihn hatte.
Isabelle schaute zur Seite. »Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen.«
»Denkst du noch oft an Ben?«
Isabelle antwortete zunächst eine halbe Minute lang nichts und blickte an die Decke. »Weißt du«, sagte sie dann, »ich habe dieses Gefühl, das ich bei ihm hatte, noch nie zuvor erlebt, aber was hat das schon zu sagen, ich bin ja kaum erst siebenundzwanzig. Mit wem sollte ich ihn vergleichen? Vielleicht mit Gerard?«
»Lieber nicht«, meinte Letty.
»Wenn ich fünfzig bin, kann ich vielleicht mal sagen, dass Ben die große Liebe meines Lebens war, und ich bin auch froh, dass ich ein Kind von ihm bekomme und er in ihm weiterlebt. Aber eigentlich betrachte ich ihn schon lange unabhängig von dem Kind. Ben war da, er hat mich überwältigt, ich hatte das Gefühl, dass sich von nun an alles ändern würde und wir zusammengehörten. Aber jetzt muss ich manchmal meine Tasche aufmachen und mir die Fotos aus der Zeitung anschauen, um mir ins Gedächtnis zu rufen, wie er aussah. Und das bringt mich zum Weinen.«
»Eine Frau in deinem Zustand heult wegen jedem bisschen.«
Isabelle spürte, dass ihr wieder die Tränen kamen. »Verstehst du denn nicht, was ich meine?«
»Doch, natürlich verstehe ich dich«, sagte Letty leise. »Deine Gefühle sind ganz durcheinander. Das Einzige, was du nicht haben solltest, sind Schuldgefühle. Und bald siehst du ihn ja in deinem Sohn wieder.« Aufs Neue tätschelte sie Isabelles Bauch.
»Es ist ein Mädchen«, sagte Isabelle.
15
Ein Renault der Gendarmerie stand auf dem gefrorenen, unbefestigten Straßenrand an der langen Auffahrt zum Maison de Maître. Zwei Gendarmen in blauen Uniformen und den typischen Schirmmützen auf dem Kopf saßen hinter der beschlagenen Windschutzscheibe und versuchten den Anschein einer Observation aufrechtzuerhalten.
Max hielt in seinem BMW neben ihnen und Kleiweg stieg aus. Ein Gendarm kurbelte die Scheibe herunter und schaute sich flüchtig Kleiwegs Dienstausweis an. Max ließ den Blick
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