Isabelle
so, weil ich Lust dazu hatte.«
Max warf einen Blick auf den Videorecorder und sagte verständnisvoll: »Das leuchtet mir ein, sie ist ja auch ein klasse Mädchen. Stand sie auch auf gute Pornos?«
Linders legte den Kopf schief und verzog den Mund. »Sie sah besser aus als das meiste, was man da zu sehen bekommt.«
»Also habt ihr euch die Filme auch zusammen angeschaut?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, äh … das ist nichts für sie.«
»Du warst also ein braver Junge, solange sie hier gewohnt hat.«
Linders schwieg; ein Moment schamhafter Verlegenheit, der seinem Gesichtsausdruck etwas Schuldbewusstes und Lausbubenhaftes verlieh. Max erhaschte einen Blick auf den Mann, in dem Isabelle sich vielleicht geirrt hatte. Er zog die Hand aus seiner Innentasche, nahm sich einen Stuhl und setzte sich rittlings darauf, die Arme über die Rückenlehne gelegt. »Es geht mich ja nichts an«, meinte er in vertraulichem Ton. »Ich versuche lediglich, mir ein Bild davon zu machen, was für ein Mensch dieses Mädchen ist, und ich glaube, du kennst sie besser als die meisten anderen.« Ein bisschen Honig ums Maul konnte nie schaden. Max sah, dass es wirkte.
»Warum?«, fragte Linders, schon weniger feindselig. »Was willst du von ihr?«
»Vielleicht hat sie etwas mit dem Mord zu tun.«
»Isabelle?« Er schüttelte den Kopf und schnaufte verächtlich. »Die könnte doch keiner Fliege was zuleide tun.«
»Du magst sie also schon noch ein wenig?«
Linders biss sich auf die Lippen. Max erkannte plötzlich, dass sie ihm fehlte. Die verwahrloste Wohnung, die Pornos und die Schlampigkeit waren Reaktionen auf einen Verlust, dessen Vorhandensein und Ausmaß ihm wahrscheinlich gar nicht bewusst waren und die sich für ihn nur in einem Gefühl der Ode und Leere äußerten.
»Wie hast du sie kennen gelernt?«, fragte Max in mildem Ton.
»In meinem Taxi, vor dem Bahnhof. Sie war auf dem Geburtstag ihrer Freundin gewesen, Letty, die arbeitet auch im Restaurant. Sie hatte den letzten Zug verpasst. Ich habe sie nach Hause gefahren. Sie setzte sich auf den Beifahrersitz, und wir kamen ins Gespräch.« Er zuckte mit den Schultern. »Sie war ein nettes Mädchen. Sie hinkt ein bisschen, aber nur wenn sie müde ist. Im Bett merkt man nichts davon.«
»Wann ist sie bei dir eingezogen?«
»Einen Monat später.«
»Warum?«
»Warum? Was glaubst du denn? Sie hat sich in mich verknallt.«
»Aber das hat nicht lange gedauert, oder?«
Linders drehte das Gesicht zum Fenster und schwieg missgelaunt.
»Ich frage mich nur, wie sie es ein Jahr lang bei dir ausgehalten hat«, sagte Max.
»Vielleicht hat es ihr hier besser gefallen als zu Hause«, murmelte Linders. »Diese alte Hexe, bei der sie gewohnt hat, ihre Tante …« Er zog eine Grimasse. »Schon gleich beim ersten Mal ist sie rausgekommen und hat angefangen, Belle auszuschimpfen, dass sie viel zu spät dran wäre und dass sie ja wohl nicht noch eine Viertelstunde lang draußen mit dem Taxifahrer quatschen müsste. Ich hab zu ihr gesagt, Mevrouw, Ihre Nichte ist doch erwachsen, oder?« Er schaute Max an. »Ich hab gleich gemerkt, dass sie da garantiert wegwollte.«
Max dachte, dass Isabelle wohl einfach das Pech gehabt hatte, auf ihrer Flucht am falschen Ort zu landen. Die Telefonbücher waren voll von solchen Leuten. »Aber du warst ja wohl auch nicht ihr Typ«, sagte er treuherzig. »Du hast es nicht geschafft, sie zu halten.«
Linders schnaubte. »Sie war eine blöde Kuh. Ich bin, wie ich bin. Über manche Sachen kann ich mich echt aufregen. Scheiße!«
Es war ein altes, solides Haus in einer ziemlich langweiligen Straße. Backstein, graue Dachziegel, ein kleiner Erker, sauber angestrichen in Grün und in mattem Weiß, ein eisernes Gartentor und ein Vorgarten mit niedrigen Sträuchern links und rechts neben einem kurzen Kiesweg, der bis zur Eingangstür führte. Ein Klingelzug aus Kupfer.
»Mevrouw Mertens?«
»Ja?«
Eine ordentliche, rechtschaffen wirkende Dame um die siebzig, das dünne graue Haar oben auf dem Hinterkopf zu einem Knoten geschlungen, ein längliches Gesicht, graue Härchen auf dem Kinn und auf den Wangen, blaue Augen, kaum Falten. Sie trug ein dunkelgraues Kleid, dessen einziger Schmuck in einer antiken silbernen Brosche bestand. Sie machte den gleichen gediegenen Eindruck wie das Haus.
»Mein Name ist Max Winter. Ich arbeite für Staatsanwalt Meulendijk.« Er hielt seine Karte hoch und steckte sie wieder weg, bevor sie genauer hinschauen konnte. »Sie
Weitere Kostenlose Bücher