Isabelle
nur anschauen, in natura, nicht auf einem Foto. Kannst du dafür sorgen?«
»Sie ist weggezogen.«
Judith starrte ihn mit offenem Mund an. »Wie bitte?«
»Es hat nichts mit dem Mord zu tun«, sagte er beschwichtigend. »Sie wollte weg von ihrer Tante und eine Weile allein sein. Meine Kollegin ist dabei, ihren Aufenthaltsort zu ermitteln.«
»Deine Kollegin?«
Max grinste. »Eine ehemalige Polizistin, ein Computergenie. Isabelle hat auf eine Anzeige reagiert, wir finden schon heraus, wo sie ist.«
Judith runzelte die Stirn. »Warum kann ihr Verschwinden nichts mit dem Mord zu tun haben?«
»Weil Bens Tod mit seiner Vergangenheit zusammenhängt. Ich würde gerne in diese Richtung weiterermitteln. Du willst doch wissen, warum Ben ermordet wurde, oder?«
»Ich weiß es nicht.« Sie machte eine hilflose Handbewegung. »Ben war plötzlich da, und ich habe mich in ihn verliebt. Jetzt ist er fort …«
»Er war dein Mann, und sein Mörder läuft frei herum.« Es geht doch hier um mehr als um einen Seitensprung, wollte er noch hinzufügen, aber er hielt den Mund. Stattdessen sagte er: »Ich werde dich, was Isabelle betrifft, auf dem Laufenden halten.«
Sie nickte verhalten. »Meinst du, es gelingt dir, seinen Mörder zu finden?«
»Ich kann jedenfalls mein Bestes tun. Die Polizei ist sehr zurückhaltend, was diesen Fall angeht. Haben sie seine privaten Unterlagen durchsucht?« »Ja.«
»Ich müsste auch einen Blick darauf werfen.«
Sie lachte kurz auf. »Meine Mutter kriegt einen Anfall.«
»Ben hat in diesem Hotel einen anderen Namen angegeben. Hat die Polizei dir das gesagt?«
Judiths Nasenflügel bebten. »Alex Hinstra«, antwortete sie.
»Hattest du diesen Namen vorher schon einmal gehört?«
Sie nickte. »Ben hat nie von seiner Vergangenheit erzählt, aber als ich mich einmal beklagte, dass ich so gut wie nichts über ihn wüsste, sagte er zum Spaß, er sei ein flüchtiger Mörder und hieße Alex Hinstra. Ich fand das nicht lustig, und jetzt, nachdem er diesen Namen an dem Abend gebrauchte, an dem er selbst ermordet wurde, finde ich es noch weniger komisch.«
»Hast du das auch der Polizei erzählt?«
»Nein. Ben kann alles Mögliche gewesen sein, aber ein Mörder war er nicht. Das war doch nur ein schlechter Witz.« Sie machte ein trauriges Gesicht. »Mein Vater hätte dir alles über Ben erzählen können, die beiden waren dicke Freunde.«
»Hat er dich nicht wegen deines Geldes geheiratet?«
»Nein, das glaube ich nicht. Er war nicht an Geld interessiert, was natürlich leicht war, denn wir hatten genug davon.«
»Hattest du je das Gefühl, dass du benutzt wurdest? Als sicherer Hafen, in den er sich geflüchtet hatte, um irgendwelchen Problemen zu entgehen?«
Sie seufzte und sah ihn gequält an. »Das sind sehr unangenehme Fragen. Ich weiß es nicht. Ich habe ihn geliebt und habe mich darauf verlassen, dass auch er mich liebte. Ich gebe zu, dass sich unser Verhältnis während des letzten Jahres verschlechtert hat. Wir waren beide daran schuld, obwohl meine Mutter meint, es habe daran gelegen, dass Bram gestorben ist, mein Vater. Ben wurde reizbar und unruhig, und ich musste ihm auf die Finger schauen, weil er anfing, die Geschäfte zu vernachlässigen.«
»Fühlte er sich vielleicht bedroht?«
»Davon habe ich nie etwas bemerkt.« Sie schüttelte den Kopf und sagte in einem kurzen Moment völliger Offenheit: »Das Einzige, was mir in der letzten Zeit hin und wieder durch den Kopf ging, war, dass er allmählich genug von unserer Ehe zu haben schien, oder meinetwegen von dem sicheren Hafen. Vielleicht fand er den Preis zu hoch?«
8
Als sie den Brief schrieb, hatte Isabelle daran gedacht, einen falschen Namen anzugeben, aber von dem Moment an, als sie das erste Mal auf das Grundstück fuhr und das kluge alte Gesicht von Fons Walman zwischen seinen Limousinkühen erblickte, wurde ihr klar, dass es falsch gewesen wäre, hier mit Lügen und Geheimnissen zu beginnen. Außerdem sahen die beiden fern und lasen Zeitung.
Fons Walman hatte ganz besondere Augen. Sie waren klein und meergrau, schauten durch einen hindurch und wirkten zugleich beruhigend. Sie brauchte ihm nichts zu erklären. »Schon klar, dass du nicht einfach so vom Himmel gefallen bist«, sagte er. »Wenn du darüber reden willst, kannst du das jederzeit tun.«
Er hatte den Krieg mitgemacht, und nachdem der vorbei war, hatte er als sechzehn Jahre alter Jugendlicher zusammen mit ein paar Kameraden die von den Deutschen
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