Isabelle
requirierten Pferde aus Groningen zurückgeholt, dem nördlichsten Teil der Niederlande. Zu Fuß hatten sie sie quer durch das ganze Land zurück bis hinunter nach Limburg gebracht. Er hatte noch erlebt, wie die Mühle auf dem Jansberg in Betrieb gewesen war, dort, wo jetzt nur noch ein toter Reservoirweiher lag. Er kannte Hunderte von Geschichten: über Maas-Überschwemmungen, Napoleon, die Schlauheit der Füchse, die es auf seine jungen Truthühner abgesehen hatten, und über die Biberkolonie in dem Eichenwäldchen, das er und seine Frau Gertrude angepflanzt hatten, als sie hierher gezogen waren.
»Isabelle«, sagte er dann. »Wir sind hier immer glücklich gewesen. Ich kann mich über nichts beklagen.« Er nannte sie immer bei ihrem vollen Vornamen, Isabelle, mit einer würdevollen Höflichkeit, die gut zu ihm passte. »Wir leben im Überfluss unseres Bauernhofs«, sagte er. »Wir müssen uns nur vernünftig darum kümmern, das ist alles, und hin und wieder mit dem Kopf bei der Sache sein.«
Der alte Fons nahm seine Umgebung immer ganz bewusst wahr und erklärte oft, jede Form von irdischem Paradies sei letztendlich eine Frage des Gebens und Nehmens. Die Füchse und Greifvögel hatten hin und wieder das Recht auf ein Gänseei hier oder ein Küken dort, er würde nicht mit Kanonen auf die Spatzen in den Kirschbäumen schießen oder die Brennnesseln mit Unkrautvernichtungsmitteln ausrotten. Besser, man mähte das Unkraut regelmäßig ab und baute ringsherum einen soliden Hühnerlauf, um den Schaden gering zu halten.
Fons war ein kleiner, magerer Mann. Ihm fehlten ein paar Zähne im Unterkiefer, und manchmal trug er ein Oberkiefergebiss. Manchmal aber auch nicht. Man lernte ihn schnell schätzen und hatte ihn zunehmend gern, wenn man täglich seinen Geschichten und Ratschlägen lauschte, während man neben ihm Zäune reparierte, Stangenbohnen pflückte und sie danach in der Tiefkühltruhe verstaute oder Geranienstecklinge im Treibhaus unter den hohen Eichen pflanzte. Der Bauernhof lag außerhalb des Dorfes. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite erstreckten sich Heuwiesen bis an die Maas, während auf der anderen Seite, wo sich die Landschaft wellig bis zu einem Hügelrücken hinzog, Eichenwäldchen und kleine Sumpfgebiete lagen. Es war eine unbeschreiblich grüne und friedliche Gegend. Ein Wunder, dass ihr niemand zuvorgekommen war, so als hätten sie in all den Wochen, die seit dem Erscheinen der Anzeige verstrichen waren, einfach nur auf sie gewartet.
»Doch, eine ist schon hier gewesen«, bemerkte Frans und schaute grinsend seinen Vater an.
»Hmm, das Lamm schmeckt aber lecker«, sagte Fons. »Was hast du reingetan?«
»Ein bisschen Salbei«, antwortete Isabelle. »Und Knoblauch natürlich.«
»Du kannst gut kochen. Besser als ich. Aber du brauchst nicht jeden Tag für uns am Herd zu stehen, das weißt du doch, nicht wahr? Wenn du in deinem Häuschen für dich sein möchtest, bleibst du einfach dort. Du bist zu nichts verpflichtet.« Er schaute seinen Sohn an. »Der ihr tolles, wie heißt das gleich wieder, Curriculum Vitae, das war mir völlig wurst. Ihre Augen haben mir nicht gefallen. Knoblauch, das ist was Gesundes. Und Wein. Die sind nicht dumm, die Franzosen.«
Isabelle hatte nicht schlecht gestaunt, als sie gesehen hatte, dass hier zum Essen Wein getrunken wurde, und noch mehr, als sie den Weinvorrat der beiden im Keller entdeckt hatte. Sie kannte sich ein bisschen aus mit Wein, durch ihre Arbeit im Restaurant, und diese Tropfen hier gehörten zu den besseren Sorten. »Es ist wichtig, gut zu essen und zu trinken«, hatte Fons dazu gesagt. »Alles in Maßen, aber von guter Qualität. Das ist unser rechtmäßiges Erbe.«
»Sie hatte es auf ihn abgesehen«, behauptete Frans und wandte sich grinsend an Isabelle. »Ich glaube, sie hatte vor, meine Stiefmutter zu werden.«
»Mit schöneren Beinen und lustigeren Augen hätte sie vielleicht Chancen gehabt«, bemerkte Fons treuherzig. »Aber jetzt guckt mich doch mal an, mich alten, zahnlosen Knacker, das konnte man ihr doch nicht abkaufen! Sie war scharf auf einen rauchenden Schornstein, sonst nix.«
»Na ja, ich doch auch«, sagte Isabelle.
Sie konnte alles sagen, was ihr in den Sinn kam, sie fühlte sich bei Vater und Sohn absolut wohl. Das war das Allerbeste hier: die entspannte Atmosphäre. Sie fragte sich oft, wie die Walmans das hinkriegten. Sie hatten dieselben Probleme wie alle anderen Leute auch, sie hatten Frau und Mutter verloren,
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