Isarbrodeln
Frau Bauer. Und Ihnen?«
»Auch gut. Ich habe jetzt einen neuen Hausarzt. Ein sehr netter, junger Mann. Sehr geduldig. Er hört sich alle Sorgen an, die man auf dem Herzen hat. Und das Beste ist, Sie müssen mich und meinen Bertram nicht hinfahren. Er hat seine Praxis nur fünf Minuten von hier. Na, wie finden Sie das?« Ihre Augen glänzten vor Begeisterung.
»Das sind ja wirklich gute Neuigkeiten, Frau Bauer. Aber ich hätte sie gerne auch weiterhin hingebracht. Ist doch Ehrensache.« Max räusperte sich kurz. Natürlich war er froh, dass ab heute keine Krankenfahrten mehr anstanden. Aber das musste Frau Bauer ja nicht unbedingt wissen. Perfekt, Raintaler. Jetzt geht es für dich die nächste Zeit nur noch ums Einkaufen und die paar kleinen Reparaturen bei ihnen drüben. Zumindest so lange, bis die beiden den nächsten neuen Arzt haben.
»Das weiß ich doch, Herr Raintaler. Ein reizender Mensch wie Sie würde uns doch nie im Stich lassen. Ihre selige Tante wäre so stolz auf Sie. Das kann ich Ihnen aber sagen.« Zwei klitzekleine Tränen der Rührung stiegen ihr in die wasserblauen Augen.
Schon Scheiße, wenn man alt wird, dachte Max. Erst bist du immer mehr auf die Hilfe anderer angewiesen und irgendwann landest du vielleicht sogar in so einem Pflegeheim. Dort gängeln und bevormunden sie dich dann, und wenn du Pech hast, arbeitet da zu allem Überfluss auch noch irgend so ein schwarzer Engel, der alte Leute umbringt und ausraubt. Stop. Jetzt ist es aber wieder gut, Raintaler. Andauernd über den Tod grübeln kann es auch nicht sein. Reiß dich mal ein bisserl zusammen. Draußen ist der schönste Frühjahrstag und nicht Totensonntag. Außerdem sind die meisten Pflegeheime absolut in Ordnung. Zumindest hier in unseren Breitengraden.
»Danke, Frau Bauer. Das ist nett von Ihnen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Ich muss los. Bin auf dem Weg zu Moni.« Er steuerte die Treppe an.
»Sagen Sie dem Fräulein Monika einen schönen Gruß!«, rief sie ihm leutselig hinterher.
»Mach ich. Und Sie Ihrem Bertram. Bis später.«
Er trat auf die Straße hinaus, und als ihm die Sonne warm ins Gesicht schien, stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht. Wie gut, dass ich noch lebe, jubelte er innerlich. Auch wenn das Bein wehtut. Und der Finger. Sorry, Giovanni. Eigentlich sollte ich ja eher traurig sein. Aber es gibt Tage, da ist diese Welt einfach nur wunderschön und sonst nichts. Da möchte man am liebsten ewig leben. Oder lieber doch nicht. Man stelle sich bloß vor, man müsste ewig Steuern zahlen. Oder ewig in elender Armut vor sich hinkrepieren. Herrschaftszeiten. Was ist denn bloß los? Kann dieser negative Teufel in mir nicht einfach mal seine Klappe halten und mich nur das, was gerade ist, genießen lassen? Das muss doch möglich sein. Sonst darf ich bald wirklich zu einem Therapeuten gehen.
Sein Weg zu Monika führte ihn wie immer beim alten Anton vorbei. Und wie immer musste er unbedingt eine der köstlichen Bratwürste im Vorbeigehen mitnehmen. Sofort und auf der Stelle. Trotz des Frühstücks, das er gerade zu Hause gehabt hatte. Du wirst noch rund wie ein Fußball, unkte er für sich. Aber diesen leckeren Würsten kann man nun mal nicht widerstehen. Gerade, wenn man Raintaler heißt. Dann lässt du heute halt lieber mal das Mittagessen ausfallen.
»Servus, Anton. Wie immer«, sagte er wie immer.
»Servus, Max. Eine Rote in der Semmel mit viel Senf. Kommt sofort!«, erwiderte Anton wie immer.
Und das war’s dann auch schon wieder mit ihrer Unterhaltung. Wie immer.
Der Anton ist ein Mensch, mit dem man wirklich hervorragend reden kann. Max grinste. Als er fertig gegessen hatte, rieb er sich noch kurz mit der kleinen, weißen Papierserviette, die um die Semmel herumdrapiert war, den Senf aus den Mundwinkeln, warf sie anschließend in den Mülleimer neben dem Kiosk und hinkte gut gelaunt weiter. Jetzt noch ein schöner, nicht zu starker Kaffee bei Monika, dann wäre der Tag absolut perfekt. Er wählte die Abkürzung am Fluss entlang. Die Isar führte inzwischen wieder klares Wasser, so als hätte es die tosende, braune Brühe vor ein paar Tagen nicht gegeben. Als er mittendrin kurz einmal stehen blieb, um sein Bein auszuruhen, konnte er sogar einige Forellen darin erkennen. Sie standen träge in der Strömung und warteten auf Beute. So solltest du es mit Giovannis Mörder im Moment am besten auch machen, ging es ihm durch den Kopf. Warten, bis er dir eines Tages über den Weg läuft. Und dann
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