Isarbrodeln
ich hatte.
»Du hast doch diese Wundersalbe von deiner Tante aus Miesbach«, meinte er. »Meinst du, die hilft? Ich glaube es ja eigentlich nicht. Das Bein ist Schrott.«
»Bestimmt hilft sie. Übrigens. Clara macht in einer Woche das ›Da Giovanni‹ wieder auf. Georg wird sie dabei unterstützen, hat sie gemeint.«
»Na, das klingt doch super. Dann kommt sie ja bald wieder auf die Beine.«
Max zog mit schmerzverzerrter Miene seine Jeans aus, während Monika ins Badezimmer ging, um Tante Ernas großen Salbentopf zu holen. Als sie damit zurück war und seinen Oberschenkel zum ersten Mal genauer betrachtete, zuckte sie erschrocken zurück.
»Oh, oh!«, meinte sie kopfschüttelnd. »Das ist ja ein schöner Bluterguss. Na ja. Wird schon wieder werden.«
»Hoffentlich«, erwiderte er. »Beim Spiel morgen kann ich wahrscheinlich gar nicht auflaufen. Das werden sie dann wohl verlieren, ohne Giovanni und mich. Der Gegner ist stark.«
»Ach, wer weiß. Bis morgen ist noch viel Zeit. Mag sein, dass du nicht der Schnellste bist. Aber laufen wirst du schon wieder können. Dank Tante Erna.« Sie kniete sich neben ihn, hielt den Salbentopf hoch wie in einem Werbespot und begann, den blauen Fleck mit sanften, kreisenden Bewegungen einzureiben.
»Autsch,« beschwerte sich Max währenddessen. »Du tust schon wieder so, als wärst du eine Ärztin. Genau wie gestern wegen dem Blutdruck. Ich glaube eben nicht, dass ich spielen kann. Das Bein tut echt verdammt weh.«
»Aber ich tu doch gar nicht, als wäre ich eine Ärztin«, protestierte sie. »Ich will dich doch nur ermutigen.«
»Ermutigen ist auch okay. Aber diese andauernde Art, dich in meine Krankheiten zu mischen, ist es nicht. Ich weiß schon selbst, was mir fehlt.« Er blickte auf einmal nur noch stur geradeaus.
»Was bist du denn schon wieder so grantig?«, wollte Monika wissen.
»Bin ich doch gar nicht«, widersprach er.
»Bist du eben schon.«
»Bin ich nicht!« Er wurde laut und begann rot anzulaufen.
»Doch. Eben schon!«, beharrte sie. »Schau doch bloß mal. Du wirst schon wieder ganz rot vor Ärger. Stell dich doch nicht immer so an.«
Genug. Herrschaftszeiten. Jetzt kommt sie mir auch noch mit Mutters Satz. Jahrelang durfte ich mir als Kind anhören, dass ich mich nicht so anstellen soll. Aber jeder andere in der Familie, und vor allem sie, durfte sich wegen jeder Kleinigkeit anstellen. Wegen jedem lächerlichen Schnupfen. Nichts für ungut, Mutter. Ich habe dich sehr geliebt. Aber diesen Satz vergesse ich dir nie.
»Na gut, wenn du meinst«, knurrte er beleidigt. »Dann stelle ich mich eben an. Und wenn das so ist, kann ich ja auch gleich wieder gehen. Oder?« Er schob unsanft ihre Hand von seinem Bein und zog seine Jeans wieder an.
»Was ist denn los? Was habe ich denn schon wieder Schlimmes gesagt?« Sie blickte ratlos auf ihren weiß gefliesten Küchenboden.
»Nichts, Monika! Rein gar nichts!«, brüllte er unvermittelt los. »Mir geht nur deine bevormundende Art manchmal gewaltig auf die Eier. Entweder du meinst, mir sagen zu müssen, wie viel ich trinken soll, räumst mir meinen Kleiderschrank ein, wie du willst, motzt rum, wenn ich nicht andauernd Sport treibe, verarschst mich wegen meinen Blutdrucktabletten, redest mir in meinen Job rein, oder du ermahnst mich, dass ich mich nicht so anstellen soll, weil du ja anscheinend ganz genau weißt, wie schlimm meine Schmerzen sind. Aber heiraten willst du mich seit Jahren nicht. Du scheinst mich mit einem Kind zu verwechseln. Und außerdem ist mein bester Freund gestorben. Eigentlich bin ich hergekommen, um mich wieder mit dir zu versöhnen. Aber wenn du jetzt schon wieder so anfängst, gehe ich halt wieder. Außerdem stelle ich mich nicht an! Herrschaftszeiten noch mal!« Er bekam fast keine Luft mehr, nachdem die ganze, lange Zeit aufgestaute Wahrheit sich derart vehement den Weg aus seinem tiefsten Herzen über die Zunge nach draußen gebahnt hatte.
»Aber ich habe doch nur gesagt, dass du nicht so grantig sein sollst.« Sie sah ihn an, als käme er von einem anderen Planeten.
»Schon recht, Monika. Rede nicht weiter! Ich ruf dich wieder an. Irgendwann! Vielleicht denkst du inzwischen ja mal darüber nach, wie man mit jemandem umgeht, vor dem man wirklich Respekt hat.« Er stapfte wütend und eingeschnappt wie selten zur Tür hinaus und rumpelte die Treppe hinunter.
Was ist denn mit dem los?, fragte sich Monika, die immer noch auf ihrem Küchenboden kniete. Empfindlich war er ja schon immer.
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