Isartod
sich doch die anderen mit Günther amüsieren. Er musste ja nicht alles wissen. Würde er halt mal auf Dienst-nach-Vorschrift-Modus schalten.
Zankls Telefon klingelte. »Sekretariat Mader?«
»Hey, Zankl, hier ist Wallicek von der Pforte. Hier steht deine Frau Mama.«
»Äh, schick sie hoch.« Zankl legte auf und kratzte sich am Kopf. Was wollte seine Mutter hier? Jetzt? Aber klar: Mütter spüren es, wenn es den Kindern nicht gut geht. Früher war sie ab und zu – huhu! – ganz spontan vorbeigekommen, wenn sie beim Shopping war. War ihm immer höllisch peinlich vor Mader und Hummel. Obwohl die sehr nett zu ihr waren. Kein Wunder, sie hatteimmer Kuchen dabei. »Na denn«, seufzte er und ging zum Lift, um sie in Empfang zu nehmen.
Die Lifttür öffnete sich. Wenn jemand definieren möchte, was gutbürgerlich ist, hier hätte er die Inkarnation vor Augen. Frau Zankl trug ein Leinenkostüm in hellem Beige, konservativ mit einem Hauch von Trachtenapplikationen, aber trotzdem schick und vor allem offensichtlich teuer. Gehobener Dienst – wenn es den für Kleidung gäbe. Zankl nahm ihr die beiden großen Einkaufstüten ab und küsste sie auf die Wange. Vorsichtig, um das perfekte Make-up nicht zu zerstören. »Hallo, Mama, das ist aber eine Überraschung.«
»Hallo, mein Schatz. Ich dachte, ich guck mal vorbei. Du, ich hab Krapfen dabei. Crème de Champagne. « Sie betonte das wie etwas Verbotenes, Sündiges. Ab achtzehn.
Etwas enttäuscht bemerkte Frau Zankl, dass die Kollegen ausgeflogen waren. »Dein netter Chef ist gar nicht da?«
»Leider nein.«
»Wer isst dann die ganzen Krapfen?«
»Ich bin mir sicher, dass die drei sich riesig freuen, wenn sie zurück sind.«
»Stimmt, ihr seid ja jetzt zu viert. Und, wie ist sie, die neue Kollegin?«
»Wie die Niederbayern so sind. Verschlagen.«
Frau Zankl lachte herzhaft. »Hast du einen Kaffee für mich? Aber bitte mit viel heißem Wasser, ich will noch länger leben.«
Zankl holte Teller und Kaffee. Seine Mutter schaute sich inzwischen um. Sie sah die Bilder an der Pinnwand und betrachtete sie eingehend.
»Mama, schau da nicht hin, das ist ziemlich grob.«
Seine Mutter reagierte nicht.
»Mama, ist was?«
»Was sind das für Bilder?«, fragte sie. »Die kenn ich.«
»Die waren in der Zeitung.«
»Ich war gestern auf einer Vernissage in der Galerie Zeitgeist . Da hängen die Bilder … Die Frau sieht anders aus. Nicht so kaputt. Eher Elfe an Flusskies. Bub, dein Kaffee ist wirklich scheußlich. Du musst mehr auf dich achten. Zu deinem Geburtstag werd ich dir eine ordentliche Espressomaschine schenken. Fürs Büro …«
»Mama, stopp! Du hast diese Bilder in einer Galerie gesehen?!«
»Ja, wenn ich es dir sage. Auf einer Ausstellung junger Künstler. Gestern war die Vernissage. Die Galerie Zeitgeist stellt einmal im Jahr neue Künstler aus. Die Bilder hatten schon was Garstiges. Verglichen mit deinen sind sie aber ganz hübsch.«
»Mama, das sind Tatortfotos!«
»Ja, und? Hat Warhol schon gemacht. Autounfälle. Pop-Art.«
»Mama, wir sprechen nicht von Pop-Art in Amerika, sondern von einem unglaublich brutalen Killer hier in München. Wo kommen die Bilder her?!«
»Woher soll ich das wissen? Da musst du Jean-Pierre fragen, den Galeristen.«
Zankl nahm seine Jacke. »Mama, jetzt darfst du mal mit mir ermitteln. Das ist doch was. Aber du hältst dich im Hintergrund.«
»Ja, natürlich, mein Schatz.«
»Wäre ja mal ganz was Neues«, dachte sich Zankl. Er schrieb den Kollegen eine Notiz und stellte ihnen die Krapfen hin.
FANTASTIQUE!
In Mamas silbernem Mercedes SLK fuhren sie nach Schwabing. Zankl beschwerte sich nicht einmal, dass er im dichten Straßenverkehr Opernarien aus der druckvollen Stereoanlage des Wagens erdulden musste. Als wäre es das Normalste der Welt, parkte Mama Zankl den Wagen auf dem breiten Bürgersteig vor den großen Galeriefenstern in der Herzogstraße.
»Sie können nicht einfach …«, begrüßte sie ein pomadisierter Rollijüngling.
»Sagen Sie Jean-Pierre, dass Luise da ist«, wies ihn Frau Zankl knapp an. »Komm, Frank, ich zeig dir die Bilder.« Zankl folgte seiner Mutter, die zielstrebig durch das große Loft stach. Ganz hinten hingen sie, zwei Bilder.
Groß. Zwei mal zwei Meter. Riesig aufgeblasen, gespenstisch, verfremdet. Nicht ohne Reiz. Besonders die Wasserleiche. Noch nicht aufgedunsen, noch mit Augen und Nase. Der bleiche Frauenkörper auf den glatten, runden Steinen im flachen Wasser. Die Lichtreflexe, die
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