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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
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zweimal auf, schnappte sich mit der Linken den Nox – und brüllte.
    Unbestreitbar hatte das Einhornhaar wesentlich besser als das Taschentuch die Kälte abgehalten. Sie raubte ihm fast die Sinne. Ein bunter Funkenregen stob auf und trieb in Richtung Ausgang davon. Karl schenkte dem vielfarbigen Sternenstaub, oder worum immer es sich dabei handelte, keine weitere Beachtung. Während er weiter vor Schmerzen schrie, mühte er sich ab, um dem dunklen Stein den weißen Handschuh überzustülpen. Er schaffte es sogar, mehr schlecht als recht, doch ehe er ganz fertig war, rollte plötzlich etwas Kleines, Rundes aus dem Taschentuch. An die darin eingeschlagene schwarze Perle hatte er vor lauter Aufregung gar nicht mehr gedacht. Gerade wollte er nach ihr greifen, als er eine weitere unangenehme Überraschung erlebte, die ihn erschrocken innehalten ließ.
    Die Perle war strahlend weiß.
    »Ach du liebes bisschen!« Für einen Moment war er zu verwirrt, um irgendetwas anderes tun zu können, als die weiße Perle am Boden anzustarren. War ihr jähes Erblassen etwa der Grund für den Glitzerstaub, der sich so rasch verflüchtigt hatte? Das konnte nichts Gutes bedeuten, dachte Karl. Hatte er das gebundene Buch – wie hieß es doch gleich? – etwa für immer zerstört? Gewogene Worte. Jetzt fiel ihm der Titel des Sonettenkranzes wieder ein. Der Nox musste die Gedichte irgendwie aufgesaugt haben. Karl unterdrückte einen Fluch. Was hatte er nur angestellt! Er mochte sich die Reaktion von Herrn Trutz gar nicht ausmalen, wenn diese von dem Verlust erfuhr. Der Meisterbibliothekar würde zweifellos der Kindlichen Kaiserin ein Telegramm schicken und seinen Berufungsvorschlag zurückziehen.
    Aber alles Jammern half nun auch nichts mehr. Sobald der Nox in dem weißen Handschuh verschwunden war, erstarb wieder das tiefe, vibrierende Pfeifen im Schwarzen Elfenbeinturm. Damit hatte Karl gerechnet.
    »Ab jetzt läuft die Stoppuhr, Sportsfreund.« Er verschluss den Handschuh, indem er den Stoff auf einer Seite nach innen umschlug. Das musste fürs Erste genügen. Besorgt musterte er die Innenfläche seiner linken Hand. Sie brannte wie Feuer und war schneeweiß. Das Taschentuch hatte nur wenig Schutz geboten. Der Nox verschwand in der rechten Außentasche des Mantels. Danach ging alles sehr schnell. Zuerst legte Karl die Perle ins Taschentuch zurück, faltete es mehrmals zusammen und steckte beides ebenfalls weg. Hierauf nahm er sein Schwert und befestigte es samt Scheide am Gürtel.
    Bevor er das Gewölbe verließ, blieb er noch einmal vor dem Eisblock des Mädchens stehen. Die Meerschaumpfeife hatte über ihrem Kopf bereits eine Mulde geschmolzen. Seltsamerweise befand sich kein Wasser darin. Könnte bei magischem Eis normal sein, überlegte sich Karl. Bald würde der Kopf des Kindes frei sein.
    »Leider kann ich nicht mehr für dich tun«, entschuldigte er sich noch einmal. »Verlasse diesen Turm, sobald du frei bist und ... Lebe wohl, kleines Mädchen.«
    Karl musste sich regelrecht von dem verschwommenen Gesicht losreißen, um den Weg nach oben anzutreten. Wäre er nur einen Moment länger stehen geblieben, hätte er mitansehen können, wie gleichsam ein Schleier von dem starren Antlitz fiel. Es war blass und atemberaubend schön. Aus dem rasch schmelzenden Eis blickten zwei große traurige Augen in das verlassene Gewölbe. Ihre Farbe war die von geläutertem Gold. Karl hätte sie vermutlich eher mit zwei Bernsteinen verglichen.

    ∞
      
    Den Weg nach oben kannte er ja bereits. Karl hätte sich nie zugetraut, dass er so schnell laufen konnte, zumal sein Fußgelenk immer noch schmerzte. Vermutlich war das eine der erfreulichen Veränderungen, die nach Bekunden des Meisterbibliothekars jeder menschliche Phantásien-Besucher in der einen oder anderen Form erlebte. Als Karls entschlossener Wille das Finstertor aufgezwungen hatte und er in die große, sich erneut verdunkelnde Halle stürzte, erwartete ihn bereits ein Empfangskomitee aus etwa zwei Dutzend schwarzen Panzerriesen – einige mehr, als er befürchtet hatte.
    Der Ring aus riesenhaften Ritterrüstungen war lückenlos. Karl erwog seine Möglichkeiten. Plötzlich spürte er an seiner linken Seite ein ungeduldiges Ruckeln. Überrascht blickte er an sich herab. Es war das Schwert, das sich da bemerkbar machte. »Wird ja auch Zeit«, brummte er. Seine Rechte hatte den Griff noch nicht ganz berührt, als der ihm auch schon entgegensprang.
    Die Panzerriesen waren zwar hohl, aber

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