Isau, Ralf
Xayíde hatte ihnen offenbar so viel Verstand eingehaucht, dass sie die veränderte Lage als Bedrohung einstufen konnten. Sofort rückten sie vor. Doch diesmal konnte Karl sich wehren. Und er tat es.
Das Licht des Schwertes flammte auf. Die Waffe tanzte regelrecht mit Karl durch die Halle, und wiederum wurde er mehr vom Schwert geführt als umgekehrt. Offenbar wusste es deutlicher als sein Träger zu unterscheiden, wann er es tatsächlich brauchte, aber dann zeigte es sich auch von seinen beiden besten Seiten – es war ja eine zweischneidige Waffe. Eine, die mühelos Stahl zerstückeln konnte.
Ehe er sich's versah, waren einige Rüstungen zu Schrott zerfallen. Aber die Panzerriesen rückten immer noch vor. Ein gewaltiges Schwert fuhr auf Karl herab, doch seine flammende Klinge parierte den Schlag. Danach säbelte sie dem Gegner die Füße weg, hierauf die Unterschenkel, dann den Rest der Beine, und so ging es weiter, bis nur noch der Kopf übrig war. Panikartig rollte der Helm mit schepperndem Visier davon.
Obwohl sich Karl sichtlich Mühe gab, als Schwertkämpfer eine gute Figur zu machen, hatte er doch in Wahrheit wenig Kontrolle über das Treiben seiner munteren Klinge. Zeitweilig konnten seine Augen nicht einmal die rasenden Richtungswechsel verfolgen. So schnell wie Bienenflügel arbeitete sich das Schwert durch Berge schwarzen Stahls. Endlich echote in den leeren Helmen wohl die Einsicht, dass sie in diesem Kampf nur den Kürzeren ziehen konnten, und die verbliebenen Panzerriesen flohen.
Die Klinge gleißte noch einmal auf, als wollte sie den Flüchtenden einen höhnischen Gruß nachrufen, dann verschwand sie in der Scheide. Das Licht erlosch, und an Karls Seite hing wieder das unscheinbare Kinderschwert.
»Danke. Das war wirklich freundlich von dir«, sagte er zu seiner wundersamen Waffe und hatte für einen Moment das Gefühl, als würde sie unter einem wohligen Schauer erzittern. Für weitere Konversation fehlte leider die Zeit. Er durfte sich keine Verschnaufpause gönnen, obwohl der Tanz mit dem Schwert kräftezehrend gewesen war. Schnell lief er zu den Schwebeschlünden. Welche Maul-Tür hatte er beim letzten Mal gewählt. Die rechte oder ...?
»Ja!«, stieß er erregt hervor, als er gleich beim ersten Eingang fündig wurde. Er konnte sein Glück kaum fassen, die zwei Hälften des gläsernen Gürtels lagen ein halbes Stockwerk unter ihm am Grund des Schachtes. Ein rascher Blick nach oben gab ihm die Gewissheit, dass diesmal kein Panzerriese in der Röhre lauerte. Dann sprang er ins grüne Licht. Ich will die gläserne Kette auflesen. Sein Geist hatte die Absicht, nicht das Ziel formuliert, und schon glitt Karl nach unten.
Die eine Hälfte des Gürtels band er sich um den Leib – diesmal unter Mantel und Jackett –, die andere steckte er ein. Und jetzt will ich zu Qutopía und ihrem Glücksdrachen. Wieder war der Gedanke kaum gedacht, als Karl schnell zu steigen begann. Er zog seine Taschenuhr heraus und klappte sie auf. Mitternacht. Falls sie richtig ging, hatte er alle Zeit der Welt.
Von innen, gewissermaßen aus der Rachenperspektive, sah er in die dunklen Flure und Räume, die an ihm vorüberglitten, während er immer höher stieg. Ab und zu rannten Panzerriesen wie aufgedrehte mechanische Ritterrüstungen durch sein Blickfeld. Er musste unweigerlich schmunzeln.
Endlich erreichte er das obere Ende des Schwebeschlundes und schwang sich heraus. Wie hoch über ihm lag wohl die Spitze des Turms? Er hoffte, nicht allzu weit, denn seine geschundenen Füße taten ihm weh. So schnell wie möglich humpelte er weiter.
Bald hatte er einen Ausgang gefunden, der ihn auf die Hauptstraße zurückbrachte, die sich schneckenartig bis ganz nach oben wand. Von der lichten heißen Aura des Schwarzen Elfenbeinturms war nur noch ein Hauch zurückgeblieben, der sich spürbar schnell verflüchtigte. Spätestens jetzt war bewiesen, dass der Nox tatsächlich über das monumentale Bauwerk das Nachtlicht angesaugt hatte. Nun steckte er in einem Handschuh aus Einhornhaar in Karls Manteltasche, und der Turm versank in Dunkelheit.
Trotzdem konnte er über sich bereits das Ende des Weges sehen. Neue Kraft floss in seine müden Glieder. Plötzlich hörte er einen Ruf, der ihm das Mark in den Knochen gefrieren ließ.
»Lass das, du Hexe! Au! Was machst du da mit meinen Füßen?«
Die Stimme gehörte Qutopía. Jemand tat ihr weh! Warum war sie nicht oben, bei der Fuchur? Karl wirbelte herum – und blickte in Edíyax'
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