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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
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Bild des inneren Kurt Klemens Koreander, jenes bemitleidenswerten Witwers, der verzweifelt bei Vorschriften, beim Wein und bei anderen trügerischen Dingen Halt gesucht hatte und dabei immer weiter abgerutscht war.
    Nach dem Erwachen aus der Bewusstlosigkeit war Karl zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, um auf seine Umgebung zu achten. Erst nach einer Weile registrierte er, was sich da draußen, jenseits des eisigen Panzers, befand. Allzu überrascht war er nicht.
    Xayídes Spiegelbild hatte ihn in dem runden Gewölbe aufstellen lassen, das er schon einmal besucht hatte. Er blickte genau auf den Nox, der in seiner schauerlichen Schönheit auf einem erneuerten Eiszapfen ruhte – die Reste des alten hatte noch niemand weggekehrt. Auch Frigon und Galatia lagen noch als glitzernde Haufen am Boden. Und hinter dem Eiszapfen stand der andere Block.
    Mit einem Mai durchzuckte Karl ein schrecklicher Gedanke. Lebte das Kind dort vor dem Ausgang etwa noch? War es genauso wie er lebendig ins Eis eingeschlossen worden? Angestrengt versuchte er mehr von dieser anderen Gestalt zu erkennen, aber vergeblich. Der Eisquader gegenüber war voller Kristalle, welche die Sicht behinderten. Außerdem konnte sich Karl ja weder nach rechts noch nach links wenden. Das Gesicht des Kindes war von dem Eiszapfen verdeckt. Es trug ein langes weißes Hemd, so viel stand fest. Barfuß schien es zu sein. Um die schmalen Schultern floss offenbar langes weißes Haar. Das arme Kind musste schon sehr lange hier stehen, dass der Nox es derart ausgebleicht hatte.
    Man verliert leicht das Gefühl für die Zeit, wenn man bei vollem Bewusstsein in einem Eisblock eingeschlossen ist. Karl hätte gern auf seine Taschenuhr gesehen. Wie lange war er ohne Besinnung gewesen? Wie spät war es? Ob über dem Schwarzen Elfenbeinturm schon die Sonne aufgegangen war? Hoffentlich hatte Qutopía auf ihrem Glücksdrachen rechtzeitig fliehen können, bevor die schwarzen Panzerriesen sie entdeckten.
    Mit einem Mal spürte Karl über seinem Herzen eine überraschende Wärme. Ja, das wohlige Gefühl kam eindeutig nicht aus seiner Brust, so wie er es noch während der Auseinandersetzung mit Frigon und Galatia empfunden hatte. Es war mehr äußerlicher Art. Unvermittelt hörte er ein Knacken.
    Während der Studienzeit hatte ein Kommilitone aus betuchtem Haus ihn einmal in eine Bar eingeladen. Von daher kannte er diesen Laut. So klang es, wenn Eiswürfel in ein Getränk geworfen wurden und knisternd von kleinen Sprüngen durchzogen wurden. So ähnlich hatte es sich auch vor gar nicht allzu langer Zeit angehört, als die Hüter des Nox zu Eiskristallen zerfallen waren ...
    Karl hatte sich schon fast aufgegeben, aber jetzt keimte neue Hoffnung in ihm auf. Er stemmte sich gegen seinen Eispanzer. Vergeblich. Angestrengt versuchte er sich zu erinnern. Die linke Brusttasche? Was hatte er dort hineingesteckt? So etwas konnte er sich nie merken. Den Handschuh aus Einhornhaar? Nein, der steckte in der rechten Außentasche. Oder links? Jedenfalls musste etwas anderes ... Die Meerschaumpfeife von Herrn Trutz!
    Karl war so aufgeregt, dass er am liebsten aus seiner Haut gefahren wäre, um irgendwie schneller aus seinem Gefängnis zu entkommen, was natürlich Humbug war. Hektisch spannte er die Muskeln, stemmte sich mal nach rechts, dann wieder nach links, bald vor, bald zurück. Immer häufiger hörte er das ermutigende Knistern und Knacken. Sie mag Ihnen noch einmal nützlich sein. Passen Sie gut darauf auf, hatte der Meisterbibliothekar von seiner nie erlöschenden Tabakpfeife behauptet – und Recht behalten! Ihre ewige Glut war selbst gegen die Zauberkraft Xayídes gefeit. Karl hätte schreien mögen vor Freude, aber auch das gelang ihm nicht.
    Es dauerte dann doch noch eine ganze Weile, bis er sich endlich aus der frostigen Fessel befreit hatte. Merkwürdigerweise verteilte sich die Wärme der Pfeife, ausgehend vom Herzen, in seinem ganzen Körper, wodurch das Eis nach und nach überall schmolz. Knirschend sprengte er die letzten Reste des Panzers auf. Dann wanderte sein Blick zum Nox. Eine wilde Entschlossenheit durchbrandete Karl.
    »Diesmal lasse ich ihn mir nicht abnehmen.« Sein Geist war wieder so lebendig, dass unweigerlich auch die Zunge mitgerissen wurde. Karl holte den kleinen dunkelblauen Ledersack aus der linken Brusttasche des Mantels. Dort hatte er die Pfeife versteckt, um sie vor den begehrlichen Blicken von Elsters Kumpanen zu verbergen. »Fürwahr eine nützliche

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