Isau, Ralf
du?«
»Machst du Witze?«
»Oh, entschuldige. Am besten, du kneifst die Augen zu.«
Karl hob das gleißende Schwert, und das Drachenmädchen wandte sich in sichtlichem Entsetzen ab. Ein einziger Schnitt genügte, um den frostigen Block zwischen ihren Füßen zu zerteilen. Offenbar vertrug sich das magische Eis nicht besonders gut mit dem Strahlen der Klinge, jedenfalls schmolz es wie Butter in einer heißen Pfanne dahin.
Qutopía trat erleichtert auf der Stelle. »Meine Füße sind überhaupt nicht nass!«, rief sie aus.
»Natürlich nicht.« Karl nahm ihre Hand und zog sie hinter sich her in Richtung Turmspitze. »Wie hat Edíyax dich überwältigen können?«, fragte er nach ein paar Schritten.
»Ich muss wohl eingenickt sein und da ...«
»Alles klar.«
»Bist du mir böse?«
»Ha!«, lachte er auf. »Ich bin der Letzte, der sich das erlauben dürfte. Warte, bis wir in der Luft sind, dann erzähle ich dir, was ich alles vermasselt habe.«
»Aber du hast den Nox.«
Karl musste an das Mädchen unter dem Schwarzen Elfenbeinturm denken und nickte traurig. »Ja, den habe ich.«
∞
Karls Anweisung war unmissverständlich, und Qutopía hielt sich daran. Sie stieg in den Pilotensattel der Fuchur und drehte sich nicht um. Hinter ihr saß Karl, den Nox wie ein Siegesfanal hoch über sich haltend. Er hatte die schwarze Hand, nachdem sie auf dem Plateau an der Spitze des Schwarzen Elfenbeinturmes angekommen waren, bis auf zwei Finger aus ihrer schützenden Umhüllung befreit. Jetzt jubelte er für einen kleinen Moment des Triumphes. Doch bald verstummte er, denn was nun geschah, übertraf nicht allein seine Vorstellung, sondern vor allem seine Absicht.
Gierig hatte der Dunkelstein die umgebende Finsternis in sich aufgesaugt, vor allem die Schwärze des Turms. Von oben nach unten verblasste der finstere Dorn, der Xayídes neuer Palast hätte werden sollen. Besser denn je erkannte Karl, wie gut dieser Vergleich zu dem Turm passte. Es musste ein dunkler, ein böser Saft gewesen sein, aus dem das Gebäude erwachsen war. Als diese Substanz ihm jetzt entzogen wurde und keine magischen Kräfte sie erneuern konnten, verdorrte der Dorn binnen weniger Augenblicke.
Die Schnellbleiche wurde ihm auch zum Verhängnis. Während die Fuchur noch eine Ehrenrunde über dem gewaltigen Bauwerk drehte, brach es dicht über dem schrägen Baugrund ab. In grotesker Langsamkeit kippte der Schwarze Elfenbeinturm zur Seite. Schließlich zerbarst er in Millionen kleiner Stücke, die den glatten Schieferhang hinabrutschten und für immer im Tiefen Abgrund verschwanden.
»Du bist so still. Was ist mit dir?«, fragte Qutopía nach einer ganzen Weile. Die Fuchur war längst wieder auf Kurs zur Nachtstadt.
Er antwortete nicht. Seine Gedanken waren bei dem Mädchen in dem Eisblock.
VERWIRRSPIEL
Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Verlust des Nox und der daraus folgende Zusammenbruch des Schwarzen Elfenbeinturms zu Xayídes größten Niederlagen zählte.
Am meisten schmerzte sie das Scheitern ihrer umstürzlerischen Pläne. Sie würde auf eine andere Gelegenheit warten müssen, um ihrer Schwester, der Kindlichen Kaiserin, die Macht zu entreißen. Xayíde hatte in unzähligen gescheiterten Intrigen gelernt, sich in Geduld zu üben. Den Verlust ihres Spiegelbildes ertrug sie übrigens mit Fassung, es hatte ihr nie besonders geschmeichelt. In den Phantásischen Chroniken verkam das vom Nox verschlungene Abbild der Magierin zu einer Fußnote: »Edíyax ward nie wieder gesehen.«
Als Zauberin konnte sich Xayíde andere willfährige Diener erschaffen, und das tat sie dann auch. Ihre schwarzen Panzerriesen wurden von Grund auf modernisiert, ebenso wie Schloss Hórok, das ihr noch eine Weile länger als Residenz dienen musste. Ihr Ende kam dann so, wie Karl Konrad Koreander es vorhergesehen hatte. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.
∞
Für die beiden Reiter auf dem mechanischen Glücksdrachen war es ein ausgesprochen kurzer Tag. Das Morgengrauen hatte sich kaum gegen die Nacht durchgesetzt, als es auch schon wieder dunkel wurde. Karl war erwacht, weil ihm die Sonne direkt ins Gesicht schien. Jetzt schmerzte ihn der Nacken. Hätte ihm früher jemand erzählt, er würde irgendwann fünf Stunden lang in einem Sattel hoch über den Wolken schlafen, er hätte den Witzbold einfach ausgelacht. Er konnte ja nicht einmal reiten. Aber in Phantásien war eben vieles
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