Isau, Ralf
sehen Sie sich vor! Ich kann den Handschuh immer noch ins Feuer fallen lassen.« Zur Bekräftigung wedelte er mit dem kostbaren Stück vor dem Kamin.
»Ruhig Blut, Jungchen«, sagte Elster, goss aus einem Zinnkrug roten Wein in einen Becher und näherte sich vorsichtig seinem Hilfsdieb. Nachdem Karl das Gefäß entgegengenommen hatte, zog sich Elster wieder einige Schritte zurück.
Karl nippte nur an dem Wein, stellte den Humpen auf den Kaminsims neben den Nox und stutzte. Auf dem Zinnbecher befand sich ein schneeweißer Handabdruck. Dann begriff er. Grinsend zeigte er dem Räuberhauptmann die farblose Innenfläche seiner Linken. »Das habe ich dem Dunkelstein zu verdanken. Offensichtlich holt sich meine Hand nun zurück, was er ihr genommen hat – auf Kosten anderer, die ein wenig Dunkelheit entbehren können.«
Elster untersuchte hektisch seine Rechte, mit der er dem Hilfsdieb das Trinkgefäß gereicht hatte. Wenngleich er an sich keine weißen Flecken entdecken konnte, wirkte er wenig beruhigt.
Karl fragte sich, ob Qutopía und Herr Trutz inzwischen beim Drachen waren? Er konnte Elster nicht länger hinhalten. Noch einmal griff er nach dem Humpen, nahm nun jedoch einen auffällig großen Schluck Wein und fing plötzlich an zu husten. Der Zinnbecher rutschte ihm aus der Hand und fiel scheppernd zu Boden. Rotwein spritzte heraus. Elster rang sichtlich mit sich, ob er losstürmen und dem dreisten Gehilfen den Handschuh entreißen sollte. Weil Karl mit dem Handschuh in der Luft herumwedelte und dabei dem Feuer ein paarmal bedrohlich nahe kam, zögerte der Dieb. Man hätte glauben können, der junge Mann sei am Ersticken, so hustete und röchelte er.
»Was war in dem Wein?«, krächzte Karl und hustete abermals, als würden ihm jeden Moment die Eingeweide hochkommen. »Wollten Ihre Spießgesellen Sie vergiften?« Er hielt sich die Hände vor den Bauch, taumelte ein wenig zur Seite, weg vom Kamin, und krümmte sich.
Das war der Moment, auf den Elster gewartet hatte. Er stürzte mit drei, vier schnellen Sätzen zu der Stelle, wo sein Hilfsdieb nach Luft rang. Aber plötzlich verschwand Karl direkt vor seinen Augen.
»Bei den sieben wilden Räubern!«, keuchte Elster. Er war völlig perplex. Wie konnte so etwas sein? Ein Mann löste sich nicht einfach in Luft auf. Dann kam ihm der gläserne Gürtel in den Sinn, und er brüllte Spitzelfopps Namen. Der kleine Räuber hatte ausdrücklich gemeldet, dass der Gürtel zurückgegeben worden sei.
Der König der Diebe wurde mit einem Mal sehr still. Wie auch immer, wenn Koreander sich nicht einfach weggezaubert hatte, sondern unsichtbar immer noch in diesem Raum war, dann musste er sich früher oder später verraten. Elster blickte sich um. Zu dumm! Die Flammen im Kamin knisterten zu laut, um leise Schritte vernehmen zu können. Dann wanderte sein Blick etwas höher und blieb am Kaminsims hängen.
Elster brüllte vor Wut auf.
∞
Nachdem Karl die zweite Hälfte des gläsernen Gürtels unter seinem Jackett geschlossen hatte und damit unsichtbar geworden war, huschte er wie ein Schatten um den heranstürmenden Oberdieb herum. Während Elster auf die leere Stelle starrte, wo eben noch ein Mensch gestanden hatte, schnappte sich Karl zuerst die Kopie des Nox, dann das Original. Ihm fehlte die Zeit, um es in den Handschuh zu stecken, deshalb ließ er den Dunkelstein ohne schützende Hülle in seine Manteltasche gleiten. Jetzt würde sich zeigen, wie rein sein Herz wirklich war.
Anschließend huschte er in Richtung Ausgang. Er war noch nicht sehr weit gekommen, als hinter ihm der wütende Aufschrei Elsters ertönte. Der Halunke hatte den Verlust seiner schwarzen Hände also bemerkt. Nur wenige Augenblicke später hörte Karl schwere Schritte hinter sich. Elster hatte die Verfolgung aufgenommen. Dann brüllte der König der Diebe Befehle.
»Der Bursche hat den Nox gestohlen! Haltet den Dieb! Bringt ihn mir! Aber lasst ihn leben!«
Karl rannte so schnell er nur konnte. Er hörte immer noch die wutschnaubende Stimme Elsters durchs Haus hallen. Die Befehle wurden in wechselnder Reihenfolge und mit immer blutrünstigeren Anreicherungen wiederholt.
»Bringt mir endlich diesen verfluchten Burschen und vor allem den Nox! Wenn alles vorüber ist, drehe ich ihn durch den Wolf... Ich reiß ihm das Herz heraus, dem Satansbraten. Gebt mir auf den Nox Acht! ... Brecht ihm meinetwegen die Knochen, aber tötet ihn nicht. Lasst ihn auf keinen Fall zum Haus hinaus, den Dreckskerl
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