Isau, Ralf
Missachtung. Er suchte nach etwas anderem, und bald hatte er es auf dem Kaminsims entdeckt.
Elster war in der Zwischenzeit von seiner Bank aufgesprungen. Er stürzte auf den Hilfsdieb zu und versuchte nach der weiß verpackten Hand zu greifen. »Gib schon her.«
Karl wich rasch einen Schritt zurück und schob den Handschuh ungefähr zur Hälfte vom Nox. »Immer langsam, Elster. Wir hatten eine Abmachung.«
»Bei den sieben wilden Räubern! Was soll das?« Der Dieb wich respektvoll zurück und hob abwehrend die Hand, als könne allein der Anblick des schwarzen Steins ihn schon verbrennen. »Deck ihn wieder zu, Koreander!«
»Nicht, bevor ich den Meisterbibliothekar gesprochen habe.«
»Dem geht's gut. Du kannst gleich zu ihm.«
»Warum lassen Sie ihn nicht holen?«
»Weil ich hier die Regeln bestimme.«
»Ach, so einfach geht das? Na gut, dann will ich mir auch mal eine ausdenken.« Den halb entblößten Nox wie einen Schild vor sich haltend, ging Karl rückwärts zum Kamin, schälte den Stein aus dem Handschuh, bis er ihn nur noch am Daumen festhielt, und erklärte dabei: »Wir machen es so. Ich lege den Dunkelstein hier auf den Kaminsims zu seinem Zwilling und behalte so lange den Einhornhaarhandschuh, bis der Meisterbibliothekar bei uns ist.« Genau das tat er dann auch, befreite zuletzt den schwarzen Daumen aus seiner Umhüllung und ließ diese in der Manteltasche verschwinden.
Elsters Reaktion war anzuhören, dass es in seinem Palast keine weiteren Tuchwaren aus den Mähnen von Albinoeinhörnern gab. »So etwas nennt man Erpressung.«
»Sie sind der Fachmann in solchen Dingen.«
Elsters Federgesicht war eine Fratze aus Zorn und Furcht. »Das werdet ihr drei mir büßen.«
»Wieso? Sie haben den Preis für das Lösegeld festgesetzt, und ich bezahle ihn jetzt. Oder ging es Ihnen am Ende gar nicht allein um den Nox? Hat Ihr ›Klient‹ Ihnen noch einen anderen Auftrag gegeben? Etwas in der Art von: >Sieh zu, dass der Bibliothekar und sein Gehilfe von der Bildfläche verschwinden.« Hat er Ihnen das befohlen?«
»Ich habe keine Ahnung, was du da schwafelst, Jungchen. Mir befiehlt jedenfalls keiner etwas.«
»So? Selbst der Werwolf nicht?«
Elsters großer Körper versteifte sich. Seine Stimme klang auffallend gepresst, als er antwortete: »Du bist von Sinnen. Ich weiß nichts von einem Werwolf.«
»Vielleicht hat er sich Ihnen ja anders vorgestellt. Sein Name lautet Gmork.«
Der König der Diebe wirkte mit einem Mal alles andere als majestätisch. Hätte sein Federkleid es zugelassen, wäre er vermutlich blass geworden. So ruckte sein Kopf nur nervös hin und her. Mal starrte er zum Nox, der neben dem schwarzen Zwilling stand und auf den finsteren Gesellen offenbar eine beängstigende Anziehungskraft ausübte, dann wieder wanderten seine Augen zu dem so unerwartet kühnen jungen Mann, der wie verwandelt war. Der Räuberhauptmann musste sich wohl fragen, was diesen Koreander nur so verändert hatte. Vor dessen Aufbruch zum Elfenbeinturm wirkte er zögerlich und verängstigt, jetzt bot er dem mächtigsten Mann von Kleptonia rotzfrech die Stirn. Das war Elster nicht gewohnt. Deshalb fühlte nun anscheinend er sich unsicher, obwohl er seine Beklommenheit zu verbergen suchte. »Es geht dich gar nichts an, mit wem ich Geschäfte treibe«, brummte er.
Aha! Es stimmt also, dachte Karl und wiederholte seine Forderung. »Lassen Sie endlich den ehrenwerten Thaddäus herbeibringen, sonst übergebe ich den Elfenhaarhandschuh diesem Feuer...«
»Nicht!«, japste Elster und streckte beide Hände beschwichtigend nach vorn, weil Karl sich anschickte, das provisorische Nox-Futteral in den Kamin zu werfen. »Ist ja schon gut, Koreander. Beruhige dich, Jungchen. Wir werden schon handelseinig.« Und sich dem Breschenschläger zuwendend, schrie er mit schriller Stimme: »Du hörst doch, was er will, Fettwanst. Jetzt wälz deinen Körper endlich zum Quartier dieses Bücherwurms und bring ihn her.«
Der kugelrunde Halunke quälte sich von der Bank hoch, zog wie eine Schildkröte seine Stummelgliedmaßen ein und rollte aus dem Raum. Bis zur Ankunft von Herrn Trutz belauerten sich Karl und Elster gegenseitig. Qutopía gesellte sich derweil zu Karl und hielt sich an ihm fest. Sie wusste, was er vorhatte, aber zum ersten Mal seit ihrem Kennenlernen war in ihm mehr Entschlossenheit als in ihr.
Der Breschenschläger kehrte zurück und in seiner Begleitung der Bibliothekar. Der Alte sah wohlgemut aus, nicht im Geringsten wie
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