Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
Vom Netzwerk:
öffnen.
    »Scherzbold! Du musst dich schon für die richtige Größe entscheiden, sonst wird nie was daraus.«
    Entscheiden! Das Wort schmerzte Karl wie ein rostiger Nagel im Fleisch. Seit wann musste man sich für die Größe eines Gebäudes entscheiden, das schon Hunderte von Jahren existierte? Zähneknirschend nahm er einen neuen Anlauf. Wie viele Bücher können seit Menschengedenken erdacht und doch nie geschrieben, verfasst, aber letztlich doch verloren gegangen sein?, fragte er sich und legte noch einmal drauf.
    »Na bitte!«, schrie Albega in sein Ohr. »Mir war schon klar, warum der ehrenwerte Thaddäus dich ausgewählt hat.«
    Karl öffnete die Augen und erschauerte vor der gewaltigen Größe der Phantásischen Bibliothek. Ihr Mauerwerk besaß einen warmen, rotbraunen Ton, ungefähr wie Zedernholz. Wäre sie tatsächlich ein majestätischer Baum, dann würde sich der Pariser Eiffelturm daneben nur wie ein Streichholz ausnehmen. Selbst dieser Vergleich war ungenügend, denn so angestrengt Karl in die Höhe sah, über sich konnte er kein Ende des Bauwerks erkennen.
    Neben seinem Ohr meldete sich abermals, als hätte der Bücherdrill seine Gedanken gelesen, Albegas Stimme. »Das ist nicht deine Schuld. Das obere Ende des Turms entzieht sich unseren Blicken. Selbst als er noch kleiner war, konnte man das Dach nicht sehen.«
    »Und er ist voller Bücher?«, fragte Karl überwältigt.
    »Das oberste Stockwerk ist ewig unfertig. Darunter ist alles mit Büchern gefüllt, abgesehen von den Lücken, die an dem Turm wie Termiten nagen und ihn früher oder später zum Einsturz bringen werden.«
    Karl entsann sich einer früheren Äußerung des Bücherdrills und murmelte unbehaglich: »Wie eine morsche Hängebrücke aus Tausenden und Abertausenden ungeschriebener Bücher.«
    »Auch aus anderen Werken, die in der Äußeren Welt verloren gegangen sind«, schränkte Albega ein. »Wie ich wohl schon erwähnte, haben wir verschiedene Abteilungen hier. In einer rasch wachsenden Sektion findest du alle restlos verbrannten Bücher...«
    »Restlos?«
    »Werke, die bis auf das letzte Exemplar ein Raub der Flammen geworden sind. Außerdem haben wir da noch eine Dauerausstellung vergessener Werke aus Quassinja, darunter einige sehr schöne Stücke aus der Alexandrinischen Bibliothek, die heute im Annahag, einem Vulkan, untergebracht ist.«
    »Quassinja? Ist das weit entfernt von hier?«
    »Ja und nein. Es liegt außerhalb Phantásiens, aber vielleicht auch mittendrin. Die Gelehrten streiten noch darüber. Jedenfalls ist Quassinja eine eigene Welt. Dort leben die verlorenen Erinnerungen fort.«
    Karl war zu keiner Antwort fähig, weshalb Albega seinen Überblick vorerst ungestört fortsetzen konnte.
    »Wir haben hier außerdem die Abteilungen für ›Mündlich überlieferte und verfremdete Märchen‹, ›Erloschene Geistesblitze‹, ›Ausgesiebte Schüttelreime‹, ›Überkommene Sagen‹, ›Abgenutzte Sprichwörter‹, ›Verstaubte Witze‹, ›Abgedroschene Liebeserklärungen‹...«
    »Halt, halt, halt!«, fiel Karl dem Bücherdrill erneut ins Wort. »Das kann ich mir unmöglich alles auf einmal merken. Mir wird allmählich klar, warum die Phantásische Bibliothek so riesig ist«
    »Und dabei bewahren wir nicht einmal alles hier auf.«
    »Nicht?«
    »Nein. Es gibt noch ein paar Außenstellen wie die berühmte runde Bibliothek von Amargánth, der Silberstadt, die von Aquil und Muqua gegründet wurde und durch einen Bann verschlossen ist. Oder die ...«
    »Gnade!«, winselte Karl. »Brauche ich das alles, um den Meisterbibliothekar zu finden?«
    »Man kann nie wissen.«
    Karl stöhnte.
    »Aber eher nicht.«
    Er bedachte den Bücherdrill mit einem strafenden Blick.
    »Wie komme ich am schnellsten zum Haus der Erwartungen?«
    »Mit einem Briefgreif.«
    »Ah!«
    »Du weißt, was ein Greif ist?«
    »Ein fliegender Löwe mit einem Adlerkopf.«
    »Na also.«
    Karl musste unwillkürlich an eine Brieftaube denken. »Bin ich nicht zu schwer für so einen ...«
    »Briefgreif?« Albega brach in schallendes Gelächter aus, was angesichts seiner Größe aber eher so klang, als hätte man einer Maus auf den Schwanz getreten. Karl hielt sich das Ohr zu, bis der Bücherdrill sich wieder beruhigt hatte. Dann sagte der Winzling: »Am besten, du kommst mit.«

    ∞
       
    Der Abstieg über die gewundenen Arkadengänge dauerte ungefähr eine Stunde. Nachdem Albega einem Buchfalter eine Nachricht zugeflüstert hatte und das mit

Weitere Kostenlose Bücher