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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
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Waldschrat mich?
    Skrzat zeigte eine Reihe spitzer Zähne. »Vermutlich fragst du dich, woher ich deinen Namen kenne. Wirst's schon noch früh genug erfahren. Ich muss dich jetzt leider für eine Weile allein lassen. Meine Pfeilvipern lasse ich dir zur Gesellschaft da. Sind sehr reizbar, die kleinen Biester. Ist also besser, du bewegst dich nicht.« Der Schrat kicherte. »Und solltest du trotzdem daran denken abzuhauen, muss ich dich warnen. Das hier ist der Wald des Vergessens. Wer sich darin verirrt, findet nie wieder hinaus.«
    »Wieso nicht?«, fragte Karl mit kratzender Stimme.
    »Na, weil derjenige sich in sich selbst verläuft. Er vergisst alles, und wenn ich sage, alles, dann meine ich auch alles. Also, bleib schön sitzen, bis ich wieder zurück bin.«

    ∞
       
    Es war ungemein schwierig, sich überhaupt nicht zu bewegen. Karls Nacken schmerzte und sein Rücken tat weh.
    Er fror. Die Fesseln an den Handund Fußgelenken schnürten ihm das Blut ab. Direkt vor seinen Sohlen stand der Schlangenkorb. Ab und zu lugte daraus der Kopf einer Pfeilviper hervor, als wollten ihn die giftigen Tierchen an die Anweisungen ihres Herrn erinnern. Der Gefangene brütete stumpf vor sich hin. Das war wieder so ein Moment, in dem sich das Aufwachen lohnen würde. Er hatte schon des Öfteren geträumt, nur zu träumen, weshalb ihn die mündlichen wie auch schriftlichen Beteuerungen, er befinde sich tatsächlich in Phantásien, anfangs nicht restlos überzeugen konnten. Aber die Schmerzen fühlten sich äußerst real an.
    »Ich hätte in der Phantásischen Bibliothek bleiben und auf Herrn Trutz warten sollen«, jammerte Karl. »Die Kindliche Kaiserin wird sich totlachen, wenn sie sein Gesuch findet, Karl Konrad Koreander zum stellvertretenden Meisterbibliothekar zu ernennen – ebensogut hätte sie einen Borkentroll berufen können. Die Goldäugige Gebieterin ...«
    Karl verstummte, weil er über sich ein sprödes Knacken vernahm. Erschrocken blickte er nach oben. Hatte Huschhusch den Baum gestreift, an den er gefesselt war? Wieder tönte von der Krone ein besorgniserregendes Knarzen herab. Ängstlich drückte er sich an den Stamm. Welche Ironie! Da fürchtete er sich vor Skrzat und seinem ominösen Herrn, und nun würde er von einem Ast erschlagen. Plötzlich krachte es über seinem Kopf. Karl kniff die Augen zusammen und hörte am Rascheln des Blattwerks, wie etwas auf ihn herabfiel, dann folgte ein dumpfer Schlag.
    Er lebte noch. Hatte nicht einmal einen Kratzer abbekommen. Zaghaft öffnete er ein Augenlid, dann ganz schnell das zweite. Auf dem Schlangenkorb war ein schwerer Ast gelandet und hatte ihn regelrecht in den Waldboden gerammt.
    »Jetzt können die Vipern den Regenwürmern Gesellschaft leisten«, sagte bedächtig eine tiefe, ungemein spröde klingende Stimme, die von überall her zu kommen schien. Sie ließ Karl ausreichend Zeit, seine Fassung zurückzuerlangen.
    »Wer spricht da?«, erkundigte er sich, noch immer unfähig, sich zu entspannen.
    »Mein Name ist Knarrr. Und du bist dann ja wohl Karl Konrad Koreander, der Stellvertreter von Thaddäus Tillmann Trutz«, antwortete die tiefe Stimme so schleppend, als wäre jedes Wort ein großer Baumstamm, der über einen Hügel gerollt werden musste.
    Karl schnappte nach Luft. »Anscheinend kennt jeder hier meinen Namen.«
    »Du selbst hast ihn genannt«, bemerkte Knarrr.
    »Oh! Ist mir gar nicht aufgefallen. Bist du ein Borkentroll?«
    »Nein, aber ein Vetter ersten Grades von ihnen. Ich bin ein Wurzhold.«
    »Und wo liegt da der Unterschied?«
    »Borkentrolle können laufen. Wurzholde sind eher bodenständig – im wortwörtlichen Sinn.«
    »Hätte ich mir denken können.« Die gemächliche Konversation übte eine beruhigende Wirkung auf Karl aus. Er gewann neue Zuversicht. »Danke, Knarrr, dass du eines deiner ... Gliedmaßen für mich geopfert hast.«
    »Der Ast?« Knarrr lachte, was etwa so klang, als würde ein heftiger Sturm in seine Krone fahren. »War kein großes Opfer, ein völlig vertrocknetes Zweiglein abzuwerfen. Oder schneidest du dir nie die Fingernägel?«
    »Die ...?« Karl blickte angewidert auf den schweren Stumpf, der für ihn alles anderes als ein »Zweiglein« war. Aber vielleicht übte sich der Wurzhold ja auch nur in Bescheidenheit.
    Karl versuchte ohne rechten Erfolg seine unbequeme Sitzposition zu verändern. »Sag mal, Knarrr, kannst du mich irgendwie losmachen?«
    »Ja.«
    Karl atmete überrascht auf. Mit dieser erfreulichen Wendung hatte er

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