Isau, Ralf
so ein Drache?«
»Nicht der Rede wert. Ungefähr so viel wie eine Sommerwolke. Er besteht aus einem Gewebe, das aus Yskál stammt. Leichter als Luft, das Zeug.«
»Aus der Korbstatt!«, rief Kumulus erfreut. »Wir unterhalten seit Generationen sehr fruchtbare diplomatische Beziehungen mit den Yskálnari und importieren größere Mengen der Binsen, die sie am Rande des Nebelmeeres ernten.«
Trutz versuchte erneut das Gespräch an sich zu reißen. »Majestät, wir sind in einer äußerst dringlichen Angelegenheit hierher gekommen. Es geht...«
»Sie haben ein hübsches Kostüm«, sagte der König zu Qutopía.
Sie lächelte schelmisch. »Danke für das Kompliment, Majestät.«
»Leder, nehme ich an.«
»Von balmesischen Grünhirschen, ja.«
»Und warum ist es braun?«
»Gefärbt.«
»Ach was! Ist diese Tracht nicht sehr schwer?«
»Es geht.«
Herr Trutz stöhnte. Sich zu Karl hinüberlehnend, flüsterte er: »Luftikusse können endlos über Belanglosigkeiten reden. Sie sind die geborenen Diplomaten.«
»Ich habe den Eindruck, unser hübsches Drachenmädchen lässt ihre ›Diplomatie‹ schon spielen«, brummte Karl.
»Ich hörte von meinen beiden Begleitern«, sagte in diesem Moment Qutopía mit flötender Stimme, »Ihr seid ein leidenschaftlicher Sammler, Majestät. Flüchtige und vergängliche Dinge sollen es Euch angetan haben.«
»Das ist wohl wahr. Insbesondere gelte ich als Experte für Luftschlösser«, bestätigte Kumulus und schien die beiden Männer erst nach dem Hinweis der Pilotin einer genaueren Inaugenscheinnahme zu unterziehen. »Sie tragen eine hübsche Weste«, sagte er zu Herrn Trutz.
»Danke«, knurrte der.
»So bunt.«
»Ich weiß. Ich mag bunte ...«
»Majestät«, drängte sich wieder das Drachenmädchen in die federleichte Konversation, »glaubt Ihr, es wäre möglich, einen Blick in Eure Sammlung zu werfen? Oder auch zwei?«
»Aber selbstverständlich«, antwortete das Wolkenburger Stadtoberhaupt und schwirrte vor Aufregung ein Stück in die Höhe. Qutopía hatte mit sicherem Gespür seine größte Schwäche angesteuert.
»Und meine beiden Begleiter?«
»Die können ja in der Zwischenzeit auf Ihren Glücksdrachen aufpassen.«
»Aber Majestät!«, gab sich Qutopía schockiert. »Geht man so mit dem Meisterbibliothekar und seinem Stellvertreter um?«
»Na, meinetwegen«, lenkte der Herrscher ein. »Dann sollen sie mitkommen.«
∞
Sie betraten das festungsartige Schloss vom Garten her. Karl war aufgefallen, dass die Pflanzen dort ein ganz klein wenig unecht aussahen, wie kunstvolle Strohblumen. Dieser Eindruck wurde ihm bald von einem giftgrünen Luftikus mit Stummelflügeln bestätigt, der dem König nicht von der Seite wich. Es handelte sich um den Protokollmeister des Wolkenburger Hofes. Er hieß !Wirstuwol und betonte, dass zur korrekten Aussprache seines Namen ein vorangestelltes kurzes, aber heftiges Luftholen erforderlich sei. !Wirstuwol lag in ständigem Kompetenzstreit mit dem König, der Qutopía und ihrem Anhang gern persönlich sein luftiges Reich zeigen wollte. Zumindest am Anfang behielt jedoch der giftgrüne Stummelflügler die Oberhand.
Sogar die Wände des Palastes bestünden nicht etwa aus Stein, wie man vermuten mochte, erklärte !Wirstuwol, sondern seien geflochten. Keines der verwendeten Materialien sei schwerer als der Morgendunst über einer Bergwiese. Für Karl wirkte alles dennoch wie aus Marmor, Elfenbein, Bernstein und anderen beständigen Materialien erbaut. Der Protokollmeister wies zudem auf die besonderen Vorsichtsmaßnahmen hin, die es im Palast zu beachten gelte. Ein einziger Funke könne das Schloss in einer Stichflamme zergehen und ein allzu lautes Sprechen die bunten Fenster zerbersten lassen. Letztere bestünden nämlich nicht aus Glas, sondern aus dem Atem von Elfen. Kumulus drängte sich wieder in den Vordergrund und lobte das von ihm entwickelte Herstellungsverfahren: Der Elfenatem müsse sich auf Eis niederschlagen, das anschließend abgeschmolzen werde; zurück bleibe eine im wahrsten Sinne des Wortes hauchdünne Schicht, woraus die Wolkenburger Handwerker mit viel Fingerfertigkeit die Fensterscheiben, aber auch allerlei Preziosen anfertigten.
Weitere Beispiele dieser Kunst bekam Karl auf der weiten Empfangstreppe zu sehen, über die der König die Delegation der Phantásischen Bibliothek führte. Auf jeder Stufe stand hüben wie drüben eine durchscheinende Figur, die samt und sonders ebenfalls aus dem Atem der
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