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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
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Elfen bestanden. Es handelte sich ausnahmslos um Mischwesen. Hippokampen – Seepferde aus Pferderumpf und Fischschwanz –, Sphinxe, Chimären, Basilisken, geflügelte Federschlangen, Simurgen – also Pfauendrachen – und Phönixe konnte Karl noch benennen, andere Gestalten waren ihm gänzlich fremd. Besonders fasziniert war er von einem Schmetterling mit Bulldoggenkopf.
    Von der Treppe ging es durch einen großen Empfangsraum, dann über mehrere Flure. Auf dem Boden lagen weiche Läufer mit Ornamenten aus der Flora und Fauna Phantásiens. An den Wänden wechselten sich Fenster und Spiegel ab. Alles war auf eine bezaubernd leichte Weise prachtvoll. Als der König bemerkte, wie Karl die schneeweißen, in Gestalt von Blättern gearbeiteten Verzierungen unter der Decke bewunderte, machte er deutlich, dass es sich dabei nicht etwa um Stuck handele – Gips, Kalk und Sand seien viel zu schwer. Alles werde aus den Binsen des Nebelmeeres hergestellt. Die Yskálnari, denen man diese Kunst abgeschaut habe, bauten ja sogar ihre schwebenden Schiffe daraus. Kumulus kicherte, weil er !Wirstuwol einmal mehr ein Schnippchen geschlagen hatte. Als der Protokollmeister sich beschweren wollte, wurde er vom König entlassen. Auch seinen Leibwächtern untersagte er strikt das »Einschwirren in den sensiblen Bereich«. Hiernach führte er die Gäste auf einen breiten Durchgang zu. Karl entdeckte einen Schriftzug, der sich aus dem gelbbraunen Flechtwerk der Einfassung schwarz abhob:
    Mehr Schein als Sein
    »Das Motto meiner Imagináriensanimlung«, erläuterte Kumulus nach oben deutend, während er die große Halle betrat, die seine Schätze barg.
    »Imaginárien?«, fragte Karl. Er hatte dieses Wort noch nie gehört.
    »Wo kommen Sie denn her?«
    »Aus der Äußeren Welt«, antwortete Herr Trutz steif. »Genauso wie meine Wenigkeit.«
    »Ach was! Das hat man selten heutzutage. Hätten Sie nicht Interesse, Ihren Dienst in der Phantásischen Bibliothek zu quittieren und hier bei mir anzufangen? Sie sehen nicht übermäßig schwer aus.«
    »Anfangen? Als was?«
    »Na, als lebendes Exponat.«
    »Vielen Dank, Majestät, aber ich bin schon anderweitig disponiert.«
    »Schade.« Der König wandte sich wieder Qutopía zu, schenkte ihr ein langes, warmes Lächeln und breitete seine Arme sodann zur Halle hin aus. »Das also ist mein Kristallpalast. Hier werden die berühmten und gerühmten Imaginárien von Kumulus IL. aufbewahrt. Falls Sie begeistert sein sollten, juchzen Sie bitte nicht zu laut.«
    Der »Kristallpalast« war am ehesten mit einem monumentalen Gewächshaus zu vergleichen, dessen weiße Rahmenkonstruktion einer Eisblume nachempfunden war. Der Wind, der durch einige Öffnungen in luftiger Höhe strich, erzeugte ein leises Geräusch, das wie das ferne Zwitschern von Nachtigallen klang. Überwältigt von dem hauchzarten und dennoch kolossalen Gebilde, konnte Karl den weiteren Ausführungen des Königs nur mit Mühe folgen.
    »Für alle, die heute zum ersten Mal die Sammlung besuchen und sich mit der Fachsprache noch ein wenig schwer tun, sei angemerkt, dass der Begriff der ›Imaginárie‹ alle Dinge und Lebewesen umfasst, die scheinbar nur in der Vorstellung oder extrem kurz existieren. Ich erwähnte bereits die Luftschlösser – in einem solchen befinden wir uns hier –, weiterhin wären zu nennen Schneeflocken, Seifenblasen, das Licht von Glühwürmchen, fixe Ideen ...«
    »Bitte, was?«, entfuhr es Karl.
    »Sie haben schon richtig verstanden. Die größte Herausforderung der Imaginárienpräparation besteht für gewöhnlich darin, einen geeigneten Kontaktträger, ein Kontrastmittel oder ein freundliches Milieu zu finden, um das Exponat zu fixieren, es sichtbar und auf Dauer haltbar zu machen.«
    »Und Ihr habt eine Möglichkeit gefunden, um fixe Ideen an der Verflüchtigung zu hindern.«
    »Wir bannen sie auf Notizblöcke. Simpel, aber genial, nicht wahr?«
    Karl schwieg.
    »Das da dürfte Sie interessieren, Gnädigste«, richtete der König wieder das Wort an Qutopía, umfasste galant ihren Ellenbogen und dirigierte sie zu einer Glasvitrine.
    Karl und Herr Trutz folgten, der eine sprachlos, der andere ungeduldig.
    Die Ausstellungsstücke waren unter dem filigranen Elfenhauchdach in Reihen angeordnet. Jedem hatte der Sammler einen dazu passend verzierten Sockel gewidmet. Das von Kumulus angesteuerte Exponat befand sich in unmittelbarer Nähe des Eingangs. Es lag auf einem Tuch aus noktunischem Schwarzreif in einem

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