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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
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Kasten.
    »Puh! Da kriegt man es ja richtig mit der Angst zu tun!«, sagte Qutopía leise.
    »Nicht wahr!«, flüsterte der König.
    »Das ist es«, sagte Herr Trutz. »Wo habt Ihr das her, Majestät?«
    »Aus den Zerfallsprodukten von Imaginárien extrahiert.«
    »Könntet Ihr das auch für die Nichtexperten im Raum erklären?«
    »Bestimmt haben Sie sich schon einmal gefragt, wo die flüchtigen Dinge hingehen, die uns für kurze Zeit berühren und dann einfach verschwunden sind: der erste Schrei eines Neugeborenen, der Geburtsschmerz seiner Mutter oder ein Anflug von Traurigkeit.«
    »Ehrlich gesagt, nein, Majestät.«
    »Ach was!«
    »Und Ihr habt es herausgefunden, Hoheit?«, wagte Karl zu fragen.
    Kumulus lächelte zu ihm hinauf, nickte und sagte mit geheimnisvoller Geste: »Sie verschwinden im Nichts.«
    »Wenn ich mich nicht irre, ist das doch wohl offensichtlich.«
    »Nein, Sie verstehen mich nicht junger Mann. Die meisten Imaginárien, die unserer Wahrnehmung entfliehen – Schneeflocken, Kugelblitze, selbst das Polarlicht –, verwandeln sich nur in etwas anderes oder sie verteilen sich, werden sozusagen bis zur Unendlichkeit verdünnt. Trotzdem bleiben sie in unserer Welt vorhanden. Aber ich konnte nachweisen, dass einige der erwähnten Dinge ganz oder zumindest teilweise im Nichts vergehen. Meiner Theorie zufolge ist es weniger als die Abwesenheit von irgendetwas. Es ist weniger als das, was zurückbleibt, wenn Sie aus einem Glaskolben sämtliche Luft absaugen.« Kumulus wandte sich Qutopía zu: »Oder in der Sprache Ihres Rätsels, Gnädigste: Es wiegt weniger als die Lücke zwischen zwei Büchern.«
    »Aber ...« Karl blickte wieder in den gläsernen Kasten. »Ich habe mir sagen lassen, das ... Nichts würde alles verschlucken, das mit ihm in Berührung kommt. Wie könnt Ihr es dann hier aufbewahren?«
    Herr Trutz nickte eifrig. Endlich lief das Gespräch so, wie er es sich erhofft hatte.
    »Sie haben recht, Koreander«, sagte Kumulus. »Das Nichts, das beispielsweise beim Zerfall eines Gefühls entsteht, ist sehr flüchtig. Wir haben unsere Probe hier aus Hunderten solcher Empfindungen gewonnen. Wie ich schon erwähnte, die Kunst der Imagináriensammler ist das Fixieren ihrer Exponate. Hier erfüllen die gläsernen Bilder diese Funktion. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass die sechs Flächen des Würfels drei angenehme und drei weniger erfreuliche Träume zeigen. In diesem Gleichgewicht liegt das Geheimnis. Es hält das Nichts in seinem Innern gefangen.«
    »So wie die noch vorhandenen Bücher in den Regalen das Nichts an der weiteren Ausbreitung hindern«, bemerkte Herr Trutz. »Das passt.«
    »Aber es wird nicht ewig funktionieren. Wenn immer mehr Bücher verschwinden, wird es irgendwann eine kritische Größe erreichen, und dann kann niemand es mehr aufhalten.«
    »Ich hatte schon befürchtet, dass die Stabilität der Phantäsischen Bibliothek gefährdet ist.«
    »Sie haben mich offenbar nicht richtig verstanden, Koreander. Das Nichts wird umso gefräßiger, wenn Sie mir diesen bildhaften Vergleich erlauben, je weiter es sich ausbreitet.«
    »Was genau wollt Ihr damit andeuten, Majestät?«
    »Das Nichts wird Phantásien zerstören.«
    Eine bedrückende Stille entstand.
    In Karls Kopf rotierten die Gedanken wie Mücken im Abendlicht. Eines verstand er immer noch nicht, obwohl diese Frage angesichts der schrecklichen Dimension der eben von Kumulus beschriebenen Katastrophe profan erschien. Schüchtern verschaffte er sich Gehör. »Angenommen, jemand stiehlt die Bücher, wovon wir ja inzwischen wohl alle ausgehen, wieso bleibt dann nicht einfach eine normale Lücke zurück, in die man hineingreifen kann, ohne dass einem nachher gleich die ganze Hand fehlt?«
    »Ich dachte, ich hätte das bereits erklärt«, schnarrte Kumulus ungehalten. »Wenn eine Imaginárie in unserer Welt vorhanden bleibt, entsteht auch kein Nichts. Sie muss restlos vernichtet werden.«
    »Oder die Bücher werden aus Phantásien herausgeschafft«, sagte Qutopía.
    Herr Trutz schüttelte den Kopf. »Man kann ein ungeschriebenes Buch nicht in die Äußere Welt bringen. Bei dem Versuch würde es sich augenblicklich in eine Idee im Kopf irgendeines Menschen verwandeln. Der schriebe es dann auf, womit es nicht nur erhalten bliebe, es würde sogar einer viel größeren Zahl von Personen zugänglich werden. Selbst wenn irgendein exzentrischer Wohltäter heimlich versuchte, auf diese Weise die Menschheit zu bereichern, entstünde immer

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