Isau, Ralf
erschrocken, als plötzlich ein glutäugiger Drache zu ihr hereinschaute.«
Die Unholde am Tisch stimmten ein grölendes Gelächter an.
Karl deutete auf die schwarze Perle. »Sie haben da etwas sehr Kostbares, das meiner Obhut anvertraut ist. Da es für Sie offenbar als Lösegeld nicht in Frage kommt, möchte ich es gerne zurückbekommen.« Er wunderte sich selbst über seine Abgeklärtheit. In Wolkenburg, gegenüber König Kumulus, hätte seine Forderung noch ganz anders geklungen. Anscheinend musste er das Wesen der Perle erst erkennen, um ihrer magischen Anziehung nicht erneut zu erliegen. Trotzdem barg sie einen kostbaren Schatz, den er nicht so einfach aufgeben wollte.
Der König der Diebe empfand wohl Ähnliches. Brüsk erwiderte er: »Die Perle behalte ich als Pfand.«
»Aber Sie haben doch uns als Geiseln.«
»Sicherheiten kann man nie genug haben. Wenn ich's mir recht überlege, sollte ich das hübsche Schmuckstück gleich als Anzahlung behalten.«
»Kommt überhaupt nicht in ...!«
»Ich denke, das lässt sich alles regeln«, mischte sich Herr Trutz in einem Ton ein, der anscheinend beschwichtigen sollte, aber nichtsdestotrotz seine Ungeduld verriet. »Wichtiger ist im Augenblick, dass wir die Auflösungserscheinungen in der Bibliothek zum Stillstand bringen. Wenn nicht Sie uns weiterhelfen können, Herr Elster, kennen Sie dann vielleicht jemanden ...?«
»Maul halten!«, brüllte der Räuberhauptmann. Sofort herrschte Ruhe im Raum. Nur das leise Schnarchen des Breschenschlägers war zu hören, ab und zu knackte die Glut im Kamin. »Ich werde dir jetzt mal was sagen, du kleiner... alter... Mann. Du bist freiwillig hierhergekommen, und jetzt wirst du dich brav an unsere Regeln halten – sofern dir dein Leben lieb und teuer ist. In der Nachtstadt bestimme nämlich ich, wo es langgeht. Was andere wollen, interessiert mich überhaupt nicht. Ich lasse die Kindliche Kaiserin in Frieden und sie mich, was ich zu schätzen weiß. Aus Dankbarkeit für ihre Zurückhaltung bin ich zu einem kleinen Zugeständnis bereit: Ich werde mich für euch nach den Hintermännern umhören, die eure Bibliothek fleddern. Das kostet mich nicht viel. Sobald ihr mir das vereinbarte Lösegeld bezahlt, verrate ich euch, was ich herausbekommen habe, und ihr dürft wieder gehen. Andernfalls – ihr habt ja euren Vorgänger im Loch gesehen.«
»Ich wüsste nicht, dass wir schon etwas vereinbart hätten«, erwiderte Herr Trutz irritiert.
»Vereinbaren bedeutet bei uns, dass die anderen machen, was ich bestimme.«
»Ah! Na dann ...«
»Aber außer der Perle haben wir nichts von Wert dabei«, warf Karl ein, weil ihm das Bild des Skeletts noch recht lebhaft im Kopf herumspukte.
»Das macht auch nichts. Mir schwebt da etwas ganz Bestimmtes vor, das ihr mir besorgen sollt. Es ist sehr kostbar und schwer zu stehlen. Man gerät dabei leicht auf die schiefe Bahn.« Elster lächelte geheimnisvoll.
Die Gefährten sahen sich sprachlos an. Hatte der Räuberhauptmann »stehlen« gesagt? Karl wandte sich wieder Elster zu. »Wir sollen etwas für Sie stehlen?«
»Rede ich so undeutlich?«
»Aber Sie sind doch der Dieb!«
»Richtig. Mit Diplom sogar. An der hiesigen >Akademie für unkonventionelle Besitzwechsel« erworben. Jahrgangsbester. Summa cum laude! Aber in diesem besonderen Fall hilft mir das auch nicht weiter.«
»Wollen Sie etwa die Kronjuwelen des Königs von England stehlen?«
»Wer ist denn das?«
Herr Trutz versuchte zu retten, was zu retten war. »Ein Inselkönigreich. Ziemlich abgelegen. Daher die Sorge meines Stellvertreters. Wonach steht Ihnen der Sinn, Herr Elster?«
Der Räuberhauptmann sah den Bibliothekar aus seinen großen Eulenaugen an und flüsterte: »Den Nox!«
Allein schon der Klang des Namens hatte für Karl etwas Unheimliches. Wer oder was der Nox war, wusste er jedoch nicht, und seinen beiden Begleitern ging es, ihren verständnislosen Mienen nach zu urteilen, wohl ebenso.
»Der Nox«, erklärte Elster deshalb, »ist ein schwarzer Stein in Form und Größe einer hohlen Menschenhand mit einigen besonderen Eigenschaften: In seiner Umgebung erstarrt alles zu Eis und er saugt Dunkelheit auf wie ein trockener Schwamm Wasser. Daher seine Farbe. Zurück bleibt warmes, reines Licht. Erstaunlich, nicht wahr?«
Karl zuckte die Achseln. Gerade erst hatte Herr Trutz ihn über ein wichtiges Naturgesetz der Inneren Welt aufgeklärt. Scheinbar unbeeindruckt erwiderte er: »Typische Folge der Phantásischen Dualität.
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