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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
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die Generalvollmacht konnte er wohl endgültig vergessen. Er steckte mitten in dieser Welt, und es war überhaupt nicht abzusehen, wann er sie wieder verlassen konnte. Wozu auch die Eile? Sein letzter Versuch, Herrn Trutz zu einer Unterzeichnung der Generalvollmacht zu bewegen, war kläglich gescheitert. Der Laden war ohnehin futsch. Stattdessen sollte er jetzt unbesiegbaren Wächtern gegenübertreten. Vermutlich würde er das Ende von Tag Nummer fünf nicht mehr erleben.
    Obwohl Herr Trutz ihm dringend geraten hatte, sich aufs Ohr zu legen, während Qutopía das verklemmte Leitwerk der Fuchur reparierte, und obwohl er sich unendlich müde und ausgebrannt fühlte, fand er keine Ruhe. Irgendwann hatte er den kleinen Räuber gerufen und sich zu dem Drachenmädchen nach oben bringen lassen.
    »Kommst du voran?«, rief er zu ihr hinauf. Sie saß an der Schwanzwurzel des Drachen, über eine geöffnete Schuppe gebeugt, und sah überrascht von ihrer Arbeit auf.
    »Du, Karl?«
    »Ich konnte nicht schlafen.«
    Qutopía lächelte. »Mir würde es genauso gehen. Eigentlich bin ich froh, dass meine Hände etwas zu tun haben, da brauche ich nicht über unsere nächste Reise nachzudenken.«
    »Kann ich dir helfen?«
    »Klar doch. Komm herauf.«
    Karl warf dem Langrüssel, dessen empfindliche Nase in einem meterlangen, rot-weiß gestreiften Strickschlauch steckte, einen fragenden Blick zu. Der Halunke – er hieß übrigens Schnapper – nickte.
    Geschickt erklomm Karl das mechanische Drachentier. Während er Qutopía Werkzeuge reichte oder irgendwelche Teile festhielt, die ihm nicht das Geringste sagten, öffnete er ihr sein Herz. »Ich glaube, ich schaff das nicht. Mir fällt doch nie ein, was gut und richtig ist.«
    Qutopía hielt inne und sah ihn offen an. »Das stimmt nicht, Karl. Na gut, du bist nicht der große Draufgänger, aber deshalb finde ich dich trotzdem nett.«
    »Du ...?« Sein Mund blieb offen stehen.
    Sie nahm ihm den hingehaltenen Hammer ab und berührte dabei seine Hand. Karl glaubte einen elektrischen Schlag zu bekommen, aber er zog den Arm nicht zurück.
    »Hast du eine Freundin, Karl?«
    »Ich. Ja. Nein, eigentlich nicht.«
    »Eigentlich?«
    »Die Nachbarn haben eine kleine Tochter. Ich lese ihr manchmal Geschichten vor.«
    »Das ist lieb von dir. Ich glaube, du hast das Herz am richtigen Fleck. Deshalb hat der ehrenwerte Thaddäus dich zu seinem Nachfolger bestimmt.«
    »Das war vermutlich sein größter Irrtum.«
    »Wohl kaum. Sonst hätte die Kindliche Kaiserin deine Berufung nicht bestätigt.«
    Weisenkind! Das ernste, unendlich schöne Gesicht des kleinen Mädchens, das er in der Spiegelwabe erblickt hatte, schwebte fur einen Moment vor seinem inneren Auge. Ja, sie schien nicht den geringsten Zweifel an ihm zu haben. Tu, was du willst, und es wird das Richtige fur Phantásien sein. Aber bitte tu es! Als ihm die Worte aus ihrem Berufungsschreiben durch den Sinn gingen, straffte er unwillkürlich die Schultern.
    »Woran denkst du?«, fragte Qutopía.
    »An ein kleines Mädchen mit bernsteinfarbenen Augen.«
    »Ist es das, dem du immer die Geschichten vorliest?«
    Karl zögerte. »Ich weiß nicht. Vielleicht.«
    Qutopía vertiefte sich wieder in ihre Arbeit. Nach einer Weile fragte sie: »Hast du schon eine Idee, wie wir in diesen Turm hineinkommen?«
    »Ich?«
    »Ab jetzt bist du hier der Bestimmer.«
    »Der was?«
    »Du triffst die Entscheidungen für uns beide. Vielleicht sogar für ganz Phantásien.«
    »Ach du liebes bisschen! Nein, ich muss noch darüber nachdenken, was Elster uns gesagt hat.«
    Die Instruktionen des Oberdiebes waren eher Warnungen, aber kein echter Plan gewesen. Der Nox, dieser schwarze Stein, der aussah wie eine hohle Hand, liege tief unter dem Schwarzen Elfenbeinturm verborgen. Dort, in einem runden, kalten, strahlend hellen Gewölbe, werde er von den zwei Hütern bewacht. Boden, Decke, Wände, alles in dem Raum, sei weiß, sogar die beiden Wächter. Über kurz oder lang bleiche der Nox alles in seiner Nähe aus, das dunkler als weiß war. Aus diesem Grund müsse Karl unbedingt weiße Handschuhe tragen, wenn er den Nox von seinem Sockel nehme, und ihn in den weißen Beutel legen.
    Beide Utensilien gehörten zu der Ausrüstung, die Elster fur Karl bereitgelegt hatte. Der Hilfsdieb musste sogar das Steinmodell in den Händen wiegen, um »ein Gefühl für das Gut zu bekommen«. Es war unerwartet schwer. Neben der schwarzen Perle, die der Räuberhauptmann nur höchst widerwillig

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