Isau, Ralf
sich mit diesem Gedanken dann aber doch nicht anfreunden. Er blickte durch ein zahnbewehrtes Maul in einen riesigen, fahl schimmernden Raum. Dort herrschte Stille, abgesehen von dem tiefen, vibrierenden Ton, der den ganzen Turm erfüllte. Karl rief sich den gläsernen Gürtel in Erinnerung. Niemand konnte ihn sehen. Entschlossen trat er durch das Maul.
Die Halle am Grund des Schwarzen Elfenbeinturms hatte die Größe von vier Fußballstadien, einschließlich der Sitzränge. Sie machte schon einen recht fertigen Eindruck, auch wenn die Einrichtung noch fehlte. Nirgends waren Stühle oder Bänke zu sehen. Nur einige schwarze Ritterrüstungen, jede dreimal so groß wie ein durchschnittlicher Mann, standen herum. Karl ließ den Blick zu den fernen Wänden schweifen. Daraus ragten mächtige Lisenen, flache Halbsäulen, hervor. Die weit auseinander fächernden Kapitelle hoch oben unter der Decke erinnerten Karl an die Blütenkelche Fleisch fressender Pflanzen. Auf den Pfeilern befanden sich erhabene, fremdartig verschlungene Ornamente, die ungefähr wie die Krampfadern aussahen, die sein Vater an den Beinen gehabt hatte.
Der Boden war spiegelglatt. Nur feine Nähte ließen erkennen, dass er aus quadratischen Platten bestand. Vermutlich hatte man das Material des Schieferhangs benutzt, um ihn auszulegen. Im Zentrum befand sich ein runder Kern, dessen Form an einen schlecht abgenagten Apfelgriebs erinnerte: An Boden und Decke war der Durchmesser größer als in der Mitte. Diese »Zentralspindel« bot Raum für Hunderte von Schwebeschlünden oder wie immer die langen Schächte hießen. Vermutlich gab es darin auch zusätzliche Zimmer für Besucher, Hofbeamte. Wachen!
Karl hatte sich unvorsichtig bewegt, und dabei waren die Glieder an den Enden seines viel zu langen Gürtels aneinander geklimpert. Unmittelbar darauf hatte er zu seiner Rechten ein Klappern vernommen. Er fuhr herum. Ein Schauer lief ihm über den Rücken.
Ja, es waren Wachen, die offenbar auf das verdächtige Geräusch aufmerksam geworden waren und sich jetzt nach dessen Ursprung umsahen. Die von ihm als protzige Dekoration mit den Ausmaßen eines Heldendenkmals gedeuteten schwarzen Rüstungen besaßen offensichtlich ein äußerst wachsames Innenleben. Einer der Panzerkolosse kam direkt auf ihn zu.
Karl war unfähig, sich zu bewegen. Nur einen Schritt vor ihm blieb der Posten stehen. Er klappte das Visier hoch. Abermals erschauerte Karl.
Der Helm des Panzerriesen war leer.
Alles, was hohl ist, kann sie nach Belieben kontrollieren. Er hätte nie gedacht, dass Elsters Warnung so wortwörtlich zu nehmen war. Die Rüstung blickte sich um. Abgesehen vom Quietschen, Schaben und Klappern der Panzerung gab sie keine Geräusche von sich, kein unwilliges Brummen, keine Aufforderung an den unsichtbaren Eindringung, nicht einmal Atem war zu hören. Karl glaubte im nächsten Moment unter dem schwarzen Eisenschuh zerstampft zu werden, aber unvermittelt klappte der Panzerriese sein Visier wieder zu, machte kehrt und lief zu seiner Position zurück. Die anderen Wächter folgten seinem Beispiel. Mit einem Mal war das tiefe, vibrierende Pfeifen wieder das einzige Geräusch in der Halle. Die Panzerriesen standen völlig bewegungslos da. Wie hohle Rüstungen.
So viel steht fest, das Diebeshandwerk ist nichts für dich. Karl atmete tief. Es dauerte eine Weile, bis er seinen Schrecken so weit überwunden hatte, dass er wieder zu ruhigem und besonnenem Denken fähig war. Wo ging es zum Nox? Diese Frage galt es als Nächstes zu klären. Er versuchte sich zu erinnern. Ja! Elster hatte etwas von einer Geheimtür in der Großen Eingangshalle gesagt, einer schwarzen Luke im Boden, die ...
Karls Gedanken kamen knirschend zum Stillstand. Entsetzt starrte er auf die spiegelglatte Fläche unter seinen Füßen. Wieder musste er einen Schauer niederkämpfen, weil er sich selbst nicht sah, danach einen zweiten, da er nicht die geringste Ahnung hatte, wie er in dieser gewaltigen Halle eine schwarze Falltür finden sollte. Elsters Erläuterungen waren etwas undurchsichtig gewesen: Eigentlich sei der Eingang in die unterirdischen Gewölbe nur ein quadratisches Loch, aber Xayíde habe es mit einem Zauber verschlossen, der es fest wie schwarzes Glas mache. Verzweifelt sah sich Karl um. Das fahle Licht ließ den polierten Schiefer überall so dunkel wie Blutstein erscheinen.
Er fühlte sich hohl und ausgebrannt. Nein!, ermahnte er sich. Nicht hohl. Nicht wie die Panzerriesen, die Xayídes
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