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Isau, Ralf

Isau, Ralf

Titel: Isau, Ralf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerry
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senkrechte, spitz zulaufende Fahne aus. Der erste Eindruck ließ an einen rauchenden Schornstein denken, aber irgendwie hatte Karl den Eindruck, das genaue Gegenteil davon zu sehen: Der Turm schien die aufkommende Nacht in sich aufzusaugen.
    Die Fuchur tauchte direkt in die lichte Wolke hinein. Karl spürte eine trockene Wärme, die rasch zunahm, je tiefer sie sanken. Sein Herz begann wild zu pochen, als die Beine des mechanischen Glücksdrachen sanft aufsetzten.
    »Wir sind da«, verkündete Qutopía mit leiser Stimme. Rasch hatte sie ihre Sicherheitsriemen gelöst und drehte sich im Sattel zu Karl um. »Puh, ist das heiß hier!«
    »Mir wird ganz mulmig, wenn ich mir vorstelle, dass eine kleine schwarze Hand all das bewirken soll.«
    »Willst du da wirklich allein reingehen?«
    »Wird schon schiefgehen. Ich habe ja mein Schwert und den gläsernen Gürtel.« Er gab sich alle Mühe, zuversichtlich auszusehen, hatte aber den Eindruck, nicht sehr überzeugend zu wirken.
    »Soll ich nicht doch mitkommen?«
    Karl streichelte Qutopías Wange. »Jeder von uns hat seine Aufgabe, und das hier ist ganz allein meine. Halte dich bereit, Drachenmädchen. Wenn ich zurückkomme, musst du einen Blitzstart hinlegen.«
    »Und wenn du nicht kommst?«
    »Sobald die Sonne wieder aufgeht, verschwindest du hier...«
    »Aber ...!«
    »Qutopía. Dir darf nichts geschehen. Sollte ich scheitern, dann musst du zum Elfenbeinturm fliegen und die Berater der Kindlichen Kaiserin informieren. Sie werden einen anderen, Tüchtigeren als mich finden, der ...«
    »Es gibt keinen anderen«, sagte Qutopía mit fester Stimme. »Die Kindliche Kaiserin hat dich berufen. Du hast mir ihren Brief gezeigt. ›Du wirst deine Bestimmung erfüllen, dessen bin ich gewiss.‹ Das hat sie dir geschrieben.«
    Er holte tief Atem. »Ja. Ich weiß. Und deshalb gehe ich jetzt. Allein! Sollte ich nicht zurückkehren...« Er verstummte, weil Qutopía sich plötzlich vorgebeugt und ihn auf den Mund geküsst hatte. In ihren grünen Augen spiegelte sich das letzte Licht der untergehenden Sonne. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck des Zorns, aber auch tiefer Sorge.
    »Wage ja nicht, mir Lebewohl zu sagen, Karl Konrad Koreander! Wir sehen uns später.«
    Karl durchbrandete eine heiße Woge. Er wusste nicht, wie ihm geschah. Qutopías Lippen waren auf den seinen warm und süß wie Honig gewesen. In seinem Körper verteilte sich eine Wärme, die er nie zuvor kennengelernt hatte. Scheu lächelte er und drückte noch einmal dankbar ihre Hand. Sie hatte ihm Mut gegeben. Und vielleicht sogar noch mehr. Was konnte ihm jetzt noch passieren?

    ∞
      
    Es dauerte viel zu lang. Karl humpelte jetzt schon eine geschlagene Stunde durch die Hitze auf der spiralförmigen Hauptstraße des Schwarzen Elfenbeinturms. Sein linkes Fußgelenk schmerzte, er fühlte sich ausgedörrt und wurde allmählich müde. Wenigstens hatte er sich inzwischen etwas an das Gefühl gewöhnt, die eigenen Füße nicht mehr zu sehen. Bisher war er nur vereinzelten Bauarbeitern begegnet, die offensichtlich noch einige letzte Arbeiten fertig stellen wollten, bevor die Nacht endgültig das Regiment übernahm. Bisher hatte niemand den unsichtbaren Besucher bemerkt, der still mit sich haderte. Er hatte die Ausmaße des Turmes unterschätzt.
    Dann kam ihm eine Idee, die er anfangs für zu absurd hielt, um ihr in seinem Kopf Auslauf zu gewähren: Vielleicht haben die hier einen Paternoster. Falls er im Rathaus zu Hause einmal in eine der oberen Amtsstuben musste, benutzte er nie den umlaufenden Fahrstuhl. Schon die vom und hinten offenen Kabinen waren abschreckend genug, aber mehr noch ließ ihn etwas anderes schaudernd zurückweichen, sobald ihn jemand einlud, das Höllending zu besteigen: die Ungewissheit, was ihn in der Dunkelheit unter dem Stadthaus erwartete.
    Der Gedanke ließ sich nicht einsperren, aber das mochte ja durchaus sein Gutes haben. In Xayídes Reich sei nichts gefährlicher als ein leerer Geist, hatte Elster mehrfach gewarnt. Ebenso gut könnte man sich vor einem Berserker entwaffnen und ihn anschließend zum Zweikampf herausfordern. Karl spürte nun doch die Strapazen der letzten Tage. Eine bleierne Schwere hielt Einzug in seine Glieder. Den Sinn beschäftigt zu halten fiel ihm immer schwerer. Wenn es hier so etwas wie einen Fahrstuhl gab, warum ihn dann nicht benutzen? Schon lief er auf den erstbesten Eingang zu.
    Das Tor glich dem Gesicht eines schaurig starrenden Wesens. Der eigentliche Durchgang hatte

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