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Isegrim

Isegrim

Titel: Isegrim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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nicht aus dem Kopf geht: »Glauben Sie, das Tomasz es gaschafft hat?«
    Agnes schaut mir in die Augen, als sie sagt: »Vielleicht hat er ja einen Schutzengel gehabt, Jola.«
    Ich verabschiede mich noch einmal und laufe zum Gartentor. Als ich Agnes hinter mir schimpfen höre, drehe ich mich um. Kopfschüttelnd hält sie einen grünen Gummischuh in der Hand.
    Â»Im Dorf ist ein Schuhdieb unterwegs«, sagt sie. »Das ist schon das zweite Mal, dass mir ein Gartenschuh fehlt. Die hier waren nagelneu, ich habe sie erst vor ein paar Tagen gekauft.«
    Â»Muss ein einbeiniger Schuhdieb sein«, bemerke ich.
    Â»Ja«, bestätigt Agnes nachdenklich. »Das ist tatsächlich merkwürdig.«

7. Kapitel
    N och tief in dieser längst vergangenen Zeit versunken, laufe ich über die Straße und an der Hofeinfahrt der Hartungs vorbei. Als ein paar Schritte weiter jemand seine Hand auf meine Schulter legt, fahre ich mit einem erschrockenen Aufschrei herum. Kai.
    Â»Wenn du mich noch einmal so erschreckst, mache ich auf der Stelle Schluss«, fauche ich ihn an.
    Â»Hey«, sagt er, »in letzter Zeit bist du ganz schön empfindlich.«
    Ã„rgerlich laufe ich weiter und er trottet neben mir her. »Wie ist es denn gelaufen?«
    Â»Bestens.«
    Â»Jetzt spann mich nicht so auf die Folter!«
    Â»Woher dein plötzliches Interesse? ›Ihr verrennt euch da in was, Mädels‹«, zitiere ich ihn.
    Â»Ach komm, nun stell dich nicht so an, Jola. Erzähl schon!«
    Ich bin immer noch aufgewühlt von Maries Geschichte und muss das Ganze erst einmal verarbeiten, aber ich fühle auch einen leisen Stich Genugtuung, weil Saskia den richtigen Riecher hatte. In knappen Worten erzähle ich Kai die Geschichte von der Ermordung des amerikanischen Soldaten an der Dorfbuche.
    Â»Jetzt ist mir auch klar, warum die Alten so vehement an Amnesie leiden«, schließe ich meinen Bericht.
    Â»Na ja, was damals passiert ist, ist nicht gerade etwas, worauf man stolz sein kann«, bemerkt Kai nach einigem Zögern.
    Â»Es ist nicht einfach passiert , so wie eine Naturkatastrophe«, entgegne ich aufgebracht und bleibe stehen. »Offensichtlich hat jemand aus dem Dorf den Ami umgebracht und der Pole sollte dafür seinen Kopf hinhalten.«
    Â»Das kannst du doch gar nicht sicher wissen. Mensch, Jola!« Kai knufft mich in die Seite. »Willst du jetzt das ganze Dorf an den Pranger stellen? Es war Krieg, da passieren solche Dinge. That’s history.«
    Â»Der Krieg war vorbei.« Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Und nach all den Jahren sitzt die Geschichte denen, die davon wissen, heute immer noch im Nacken.«
    Kai zuckt mit den Achseln. Zufrieden registriere ich, dass ihm die Argumente ausgehen.
    Wir laufen weiter und kommen am Haus der Merbachs vorbei, wo Lasse schon wieder wie ein Wilder mit dem Dreirad über den Hof jagt und Motorengeräusche dazu macht. Alina hat sich immer einen Bruder gewünscht, genauso wie ich. Nun hat sie einen. Manche Wünsche gehen erst in Erfüllung, wenn es zu spät ist.
    Â»Weißt du eigentlich, wann Agnes’ Tochter das letzte Mal zu Besuch hier war?«, frage ich Kai.
    Â»Keine Ahnung, aber ich glaube, das ist eine ganze Weile her. Da war irgendetwas mit einem schlimmen Unfall.« Offensichtlich ist Kai froh, dass ich das Thema gewechselt habe. »Aber ich kann meine Oma fragen, die weiß es bestimmt.«
    Â»Mach das«, sage ich.
    Â»Seit wann interessieren dich andere Leute?« Kais Augen funkeln spöttisch. »Ich denke, du hast nichts übrig für Dorfklatsch?«
    Â»Blödmann«, erwidere ich. »Ich habe festgestellt, dass ich Agnes mag, und deshalb interessiert es mich. Genauso wie mich interessiert, was aus diesem Tomasz geworden ist und für wen er seinen Kopf hinhalten sollte.«
    Â»Na, offensichtlich für irgendeinen kranken Nazitypen aus dem Dorf, der schon lange auf dem Friedhof liegt und Radieschen atmet. Verrückt, oder?«
    Â»Ich weiß nicht, ob verrückt das richtige Wort ist«, sage ich nachdenklich. »Es ist wie eine Hand aus der Vergangenheit, die nach uns greift.«
    Kai hebt seinen rechten Arm über den Kopf, macht eine Klauenhand vor seinem Gesicht und gibt Laute des Grauens von sich.
    Ich verdrehe die Augen. Und muss lachen – er hat es wieder mal geschafft.
    Wir sind an unserem Hoftor angekommen und stehen einander gegenüber.

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