Isegrim
holt aus einer Kiste eine angerostete Eisenplatte heraus und betrachtet sie entzückt. »Super, Tobi, das hast du wirklich gut hinbekommen. Genau so habe ich es mir vorgestellt.«
Tobi? Mit einiger Verwunderung schaue ich zu, wie meine Tante einen Eisenquader mit einer rostigen Stange aus einer anderen Kiste holt und das merkwürdige Ding ebenfalls mit Faszination im Blick betrachtet.
Habe ich mal wieder etwas verpasst? Ich gebe mir einen Ruck und frage: »Was sind das denn für seltsame Dinger?«
»Oh, davon habe ich dir noch gar nichts erzählt, Jola. Ich bin dabei, etwas Neues auszuprobieren. Ich arbeite gerade an einer Serie plastischer Figuren und die sollen Metallständer bekommen â schwere FüÃe, sozusagen.«
»Aber die sind völlig verrostet«, bemerke ich entgeistert.
»Ja, und es war nicht leicht, das so hinzukriegen.« Tobias grinst zufrieden. »Deine Tante hat den Rost extra bestellt.«
»Es wird gut zusammenpassen, Jola, glaub mir. Der raue dunkle Manganton und die rostigen Eisen.« Lotta wendet sich an Tobias. »Komm rein, dann erledigen wir das Geschäftliche.«
»Wo soll der Kram denn hin?« Tobias schlägt die Wagentür zu.
»In die Werkstatt, ich zeige dir gleich, wo du alles hinstellen kannst.«
Weit hinter Lottas Haus schlägt ein Hund an, ein anderer antwortet. Tobias legt den Kopf schief und lauscht, die Stirn in Falten gelegt.
»Verdammt, hoffentlich ist Luzifer nicht wieder ausgebüchst. Grimmers Schäferhündin ist läufig und Luzifer spielt dann jedes Mal verrückt.« Er fährt sich mit seinen rostigen Händen seufzend durchs struppige Haar. »Ich kann machen, was ich will, er findet immer irgendein Schlupfloch im Zaun.«
Die Grundstücke von Zacke und Grimmer sind nur durch einen unbefestigten Waldweg voneinander getrennt und Zackes ist das letzte am Waldrand. Vor Luzifer, einem stämmigen Rottweiler, haben alle im Dorf Angst, weil er angeblich ein Katzenkiller ist. Per Gesetz ist Tobias dazu verdonnert, ihm auÃerhalb seines Grundstückes einen Maulkorb anzulegen und ihn an der Leine zu führen, sonst gibt es Zoff.
»Das Grundstück ist so riesig und manchmal habe ich das Gefühl, irgendwer macht diese Löcher in meinen Zaun. Ich habe einfach nicht die Kohle, um einen neuen zu bauen«, sagt Tobias. »Ich will Luzifer aber auch nicht den ganzen Tag im Zwinger einsperren.«
»Ich gehe dann mal«, sage ich, denn es ist kurz vor sieben und die beiden haben offensichtlich noch eine Weile zu tun.
»Viel Spaà auf dem Open Air«, ruft Lotta. »Und grüà mein Schwesterherz von mir.«
»Mach ich.«
Ich hänge den Beutel wieder über meine Schulter und mache mich auf den Heimweg. Tobias Zacke (Tobi) in vertrautem Umgang mit Tante Lotta. Bin ich so sehr in meiner eigenen Welt unterwegs, dass ich nicht mehr mitbekomme, was um mich herum geschieht?
»Hübsch siehst du aus, Jola«, sagt jemand zu mir und ich schrecke aus meinen Gedanken. Es ist Agnes, die dem Unkraut in ihrem Vorgarten den Garaus macht. Marie, die auf der Bank vor dem Haus sitzt, winkt mir lächelnd zu.
»Danke«, murmele ich höflich und laufe schneller, denn mein Bedarf an Aufmerksamkeit ist inzwischen gedeckt. Statt geradeaus weiter die DorfstraÃe zu gehen, biege ich nach rechts und hinter Hartungs Grundstück in den Gartenweg ein. Wenigstens kann ich mir so sicher sein, dass Kai mich nicht sieht, denn mein neues Outfit soll eine Ãberraschung sein.
Ich hoffe, dass Zackes Zaun dicht ist, und begegne niemandem mehr. Als ich an unserem verwilderten Nachbargrundstück vorbeikomme, bleibe ich stehen. Jemand hat einen Flecken Gras gehauen, wahrscheinlich war das Achim Roland, der hat Kaninchen. Aus dem wuchernden Kletterrosenbusch an der fleckigen Hauswand funkeln die gefüllten roten Blüten wie Rubine. Die Haustür steht einen Spaltbreit offen. Heute Morgen, als ich auf dem Balkon stand, war sie noch zu, das weià ich genau.
Neugierig gehe ich durch das offen stehende Gartentor ein paar Schritte auf das alte, eingewachsene Haus zu, als ich über etwas stolpere und beinahe falle. Es ist eine Konservendose. Tortenpfirsiche. Verwundert bücke ich mich danach, dabei fällt mein Blick auf die Blätter eines Brennnesselbusches. Etwas glänzt dunkelrot und feucht.
Frisches Blut. Dunkelrote Tropfen auch auf den moosbewachsenen Gehwegplatten.
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