Isegrim
vier lächeln in die Kamera.
»Sind das Ihre Tochter und Ihre Enkelkinder?«
Ein Schatten verdunkelt Agnesâ Blick. »Alexander und Kamila, ja.« Sie verlässt die Küche, ich folge ihr durch den engen Flur nach drauÃen. Offensichtlich will sie nicht über ihre Enkelkinder sprechen und ich erinnere mich daran, dass Kai etwas von einem Unfall erzählt hat. Besser, nicht weiter nachzufragen.
Bevor ich in den Regen hinaustrete, sage ich: »Ich hoffe, es hat für Sie und Ihre Mutter im Dorf keine Folgen, dass Sie mit mir gesprochen haben.«
Agnes verschränkt die Arme vor der Brust. »Nimm dir das mal nicht so zu Herzen, Jola. Wenn die Leute dummes Zeug reden, hör einfach weg. AuÃerdem erhitzt der mysteriöse Dieb gerade die Gemüter, deshalb werden sie diese alte Geschichte schon bald wieder vergessen haben. «
»Der Dieb? Fehlen denn immer noch Sachen?«
»Oh ja. Fast jedem im Dorf fehlt etwas. Sogar Wäsche von der Leine.«
»Hat der Dieb Sie auch bestohlen?«
»Abgesehen von den einzelnen Schuhen â nein. Anscheinend ist er ein Gartenschuhfetischist.«
Ich verabschiede mich, als mir noch etwas einfällt. »Ach ja ⦠diese Höhle, in der Agnes und Tomasz sich getroffen haben, gibt es die noch?«
»Soweit ich weiÃ, nicht. Nach dem Krieg waren ja die Russen lange auf dem Platz stationiert und haben mit ihren Panzerraketen geschossen. Dabei muss der Eingang zur Höhle verschüttet worden sein.«
»Oh, ach so.« Ich merke, wie enttäuscht ich klinge.
Auf dem Weg nach Hause begegne ich keiner Menschenseele. Der Regen hält die Leute in ihren Häusern und ich bin froh darüber. Tatsächlich ist mir nach dem Besuch bei Agnes ein wenig leichter ums Herz, nun, da ich die ganze Geschichte weiÃ. Dass Agnes die Reaktion der Leute so gelassen sieht, imponiert mir und beruhigt mich auch.
Es drängt mich, meiner Mutter alles zu erzählen, doch ich finde sie ruhelos durchs Haus wandernd, wobei sie sich einen in ein Geschirrtuch gewickelten Cool-Pack an die Wange hält. Also lasse ich sie in Ruhe.
16. Kapitel
I n der Nacht werden Mas Zahnschmerzen so schlimm, dass Pa sie am nächsten Morgen kurzerhand in seinen Jeep packt, um mit ihr nach Erfurt zum Zahnarzt zu fahren. Es ist der letzte Ferientag, der Himmel ist grau wie ein alter Putzlappen. Aber es hat aufgehört zu regnen und ich kann es kaum erwarten, mich auf mein Rad zu schwingen und im Wald nach Olek und der Wölfin Ausschau zu halten.
Pa hat mich gebeten, Wilma auszuführen, also nehme ich sie diesmal kurzerhand mit. Brav läuft die Hündin an ihrer Leine neben dem Rad her, das haben wir schon oft genug geübt.
Als wir zwanzig Minuten später zu Fuà die RingstraÃe ins Sperrgebiet überqueren, reiÃt die Wolkendecke auf und der Asphalt glänzt wie flüssiges Silber. Heute ist ein normaler Wochentag, aber es herrscht kein Ãbungsbetrieb, der rot-weiÃe Ball hängt nicht am Mast. Trotzdem muss ich mehr Obacht geben als sonst, denn die Feldjäger könnten auf Patrouille unterwegs sein.
Sonnenstrahlen fallen durch die Ãste der Bäume. Es tropft von den Blättern, Regentropfen funkeln wie Diamanten in den Kiefernnadeln und in den Netzen der Spinnweben.
Wilma hört aufs Wort und weiÃ, was sie darf und was nicht. Deshalb lasse ich sie von der Leine und befehle ihr, in meiner Nähe zu bleiben. Der feuchterdige Duft von Laub und Kiefernnadeln steigt in ihre Hundenase und produziert Glückshormone. Sie stöbert und schnüffelt und markiert hier und da. Im Wald zu sein, ist herrlich, da sind Wilma und ich uns einig.
Nach einer Dreiviertelstunde erreichen wird den GroÃen Tambuch. Auf einem felsigen Steilhang hat ein heftiges Sturmtief Anfang Januar etliche Bäume umgeknickt und bisher sind sie liegen geblieben, denn das Gebiet ist für Forstarbeiter schwer zugänglich. Baumstämme liegen kreuz und quer wie Mikadostäbe. Ein idealer Platz für die Wölfin, um ungestört ihre Welpen groÃzuziehen.
»Wilma«, rufe ich, »hierher.«
Wilma kommt leise winselnd zu mir, die Ohren hochgezogen. Sie hat etwas gewittert. Wir steigen über einen Haufen Totholz bis zu einem von überhängenden Brombeerranken verdeckten Muschelkalkfelsen. Eine Art Wildwechsel führt direkt zum Brombeergebüsch und endet am dornenbewehrten Hang. Merkwürdig.
Plötzlich ist Wilma
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