Isegrim
verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Ich pfeife nach ihr und sie taucht aus einem Spalt zwischen Felsen und überhängendem Brombeerhügel wieder auf.
»Bleib, Wilma.«
Als ich mir den Spalt zwischen Ranken und Wand genauer anschaue, fällt mir auf, dass das Brombeergestrüpp im Inneren ausgehöhlt ist und sich unter Ranken und Blättern ein offensichtlich von Menschenhand geschaffener Hohlraum befindet. Wilma verschwindet erneut darin, diesmal folge ich ihr.
Nach ein paar Schritten in der Brombeerburg tut sich im Fels ein schulterhoher, knapp einen Meter breiter Spalt auf. Sesam öffne dich. Das ist echt krass. Ich befehle der Hündin zu warten, fische meine Taschenlampe aus dem Rucksack und leuchte in den schmalen Gang, der offenbar ins Innere des Felsens führt.
Auf dem Boden entdecke ich Schuhabdrücke und komme kurz ins Wanken, ob ich wirklich allein da hineingehen soll. Doch die Neugier setzt sich durch. Vor Aufregung beginnt es, in meinem Magen zu kribbeln.
Wilma ist kaum noch zu bremsen. Mit eingezogenem Kopf folge ich der Hündin durch den schmalen, aber mit jedem Schritt ein wenig breiter werdenden Gang. An den trockenen Wänden erkenne ich frische Spuren von Werkzeugen.
Nach etwa sechs oder sieben Metern stehe ich aufrecht in einem drei mal vier Meter groÃen Hohlraum, von dem drei weitere Gänge abgehen. Wilma wittert und wedelt begeistert mit dem Schwanz.
»Na los, komm!« Ich wähle den Gang direkt vor mir und Wilma verschwindet wie ein Pfeil darin. Schon nach wenigen Schritten führen saubere Stufen drei oder vier Meter tief nach unten. Stufen, die eindeutig von Menschenhand geschaffen sind. Obwohl ich Wilma bei mir habe, wird mir nun doch mulmig zumute. Sind hier etwa illegale Schatzsucher am Werk? Wie weit führt diese Felstreppe ins Innere des Berges und was erwartet mich da unten? Noch kann ich umkehren, Pa von meiner Entdeckung erzählen ⦠Doch die Neugier treibt mich weiter.
»Wilma?« Ein kurzes Bellen. Schlabber, schlabber. Wilma muss Wasser gefunden haben.
Am FuÃe der Felstreppe angekommen, stehe ich in einer bauchigen Höhle, die ungefähr sieben Meter lang und fünf Meter breit ist. Stalaktiten hängen von der Decke wie dicke Eiszapfen, Stalagmiten wachsen vom Boden der Höhlenkammer in die Höhe. Es ist zwei oder drei Grad kühler hier unten. Als ich die Wände und den Höhlenboden ausleuchte, entdecke ich hinter einem Stalagmiten ein natürliches, fast badewannengroÃes Becken im Stein, dessen glasklares Wasser im Schein meiner Taschenlampe funkelt. Wilma steht am Rand des Beckens und säuft. Der Waldlauf hat sie durstig gemacht.
Neben Wilma entdecke ich drei leere Konservendosen und einen roten Plastikeimer, auf dem in schwarzen Lettern Glasur geschrieben steht. Das ist zweifellos einer von Tante Lottas Eimern, die sie vermisst. Ich bin unheimlich froh, diesen Eimer zu sehen, und alle Anspannung fällt von mir ab. Ich habe Oleks Unterschlupf gefunden, da bin ich mir ganz sicher.
»Komm, Wilma.«
Ich steige wieder nach oben und inspiziere als Nächstes den niedrigsten Gang, der schon nach wenigen Schritten in eine kleine Felskammer führt. Sie ist voller Gesteinsschutt, der vermutlich von der Treppe und vom Gang stammt. Ein Spaten, eine Schaufel und eine Spitzhacke lehnen an der Felswand. Daneben steht ein zerschrammter Blecheimer.
Ich will schon weitergehen, als Wilma einen Satz an mir vorbei macht und im hintersten Winkel der Höhle verschwindet.
»Wilma!«, rufe ich erschrocken.
Scharren, aufgeregtes Winseln und Wilma ist wieder da, sitzt bei FuÃ, einen langen Knochen im Fang, an dem der Rest einer skelettierten Hand hängt.
Oh nein!
Es ist kein richtiger Schrei, den ich ausstoÃe, eher ein entsetztes Gurgeln. Kurz bleibt mir die Luft weg, Adrenalin schieÃt durch meine Adern. Ich habe Alina gefunden!
Wilma wedelt freudig mit dem Schwanz, will, dass ich ihr das Gebrachte abnehme â aber ich kann nicht.
»Ablegen, Wilma«, befehle ich, hole tief Luft und steige vorsichtig über den Gesteinsschutt, um den niedrigeren Teil der Felskammer auszuleuchten. Der schmale Lichtkegel meiner Taschenlampe erfasst einen bleichen Schädel, der auf einem groÃen Stein liegt. Zwei schwarze Augenhöhlen blicken mich an.
Alina! Mein Herz rast, mir bricht der Schweià aus, die Knie drohen nachzugeben. Auch wenn ich mir diesen Moment schon Hunderte Male
Weitere Kostenlose Bücher