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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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Isenharts Gedanken angetreten. Mit kindlicher Begeisterung begab er sich zu dem Schieber, um ihn zu erproben. Dabei machte er eine bedeutsame Feststellung. Drückte er den Schieber in die Mitte des Grabens, verengte er den Raum, der dem Wasser beim Durchfluss zur Verfügung stand. Es staute sich, rief Verwirbelungen hervor, erhob sich vor dem Schieber im Pegel, um die Engstelle dann mit viel höherer Geschwindigkeit zu passieren – und sich danach wieder zu verlangsamen.
    Isenhart hatte im Sinn gehabt, mit dem Schieber den Pegelstand im Wassergraben zu bestimmen. Dass er damit auch imstande war, die Fließgeschwindigkeit des Wassers zu regulieren, war ihm neu. Räumte er diesem künstlichen Seitenarm des Rheins Raum ein, beruhigte sich der Strom. Verengte er ihn, wurde das gemächlich in den Graben fließende Wasser kurz zum reißenden Bach.
    So reißend, dass erst Henricks wütendes Brüllen ihn aus seinen Gedanken riss. In einer Kurve war das Wasser über den Rand des Kanals getreten und hatte den Hühnerstall überflutet.
    Isenharts Beobachtung über das Verhalten des Wassers war bahnbrechend.
    Ohne die Last solcher Bedeutung, die er einmal im Namen eines Mannes aus dem italienischen Vinci erlangen sollte, hatte er Henrick geholfen, die Hühner zu trocknen.
    All jene Erlebnisse, die aufs Engste mit diesem Ort verbunden waren, zogen an seinem inneren Auge vorbei, während er an Konrads Seite auf Heiligster zutrabte. In der Burg Laurin war er aufgewachsen und hatte sich – welch jugendliche Fehleinschätzung – sicher gefühlt. Doch Heiligster, dieser gottverlassene Ort, als der er ihm begegnet war, wurde sein Zuhause.
    Isenhart begriff, dass das wenig mit den Gebäuden und dem nahen Rhein zu tun hatte, an dem er ebenso gerne wie Sophia hin und wieder seine Zeit verbrachte, sondern sich im Miteinander mit den anderen begründete. Sie waren sein Zuhause, sie waren es, die Heiligster zu der Bedeutung erhoben, die es für ihn einnahm: ein Refugium. Er fühlte sich akzeptiert und aufgehoben.
    Beides war er in der Burg auch gewesen, doch mit der Zerstörung des Hauses Laurin und ihrer Flucht war unwiderruflich etwas in Bewegung geraten. Die Standesunterschiede verschwanden nicht gänzlich – Konrad war immer noch sein Herr, obwohl dieser ihn schon länger und insbesondere in Heiligster als nahezu gleichrangig behandelte –, aber die Übergänge gestalteten sich fließend. Marie und Sophia verrichteten beide ihre Arbeit in Heiligster, es gab nichts, was Sigimunds Tochter Marie überließ. Und trotzdem war unzweifelhaft, dass Sophia, die Jüngere der beiden, die Herrin war und Marie ihre Dienerin.
    Selbst Henrick konnte man hin und wieder arbeitend erwischen, und sogar Hieronymus’ Wesen wandelte sich. Bei seinem Grad an religiöser Inbrunst konnte aus ihm nicht mehr ein Hedonist reinster Prägung werden, aber eine gewisse Sanftmut und auch Gelassenheit fanden ihren Weg in sein Herz. Über kleinere Verfehlungen seiner Schäfchen, die er früher unnachgiebig geahndet hatte, etwa eine Spur von Fröhlichkeit beim Gebet oder eine zufällige Berührung zwischen Mann und Frau, sah er nun hinweg.
    Denn obwohl Konrad immer noch ein Herr war und er zusammen mit Isenhart als Wachmann Spiras den Großteil der Einkünfte bestritt, fühlte Vater Hieronymus sich für diese kleine Gemeinschaft verantwortlich. Sigimunds Kinder hatten ein Inferno von Gewalt durchlitten, und Konrad wurde während der ersten Zeit in Heiligster immer noch gejagt. Mit einem pedantischen Mann Gottes war ihnen wenig gedient. Zwar waren sie, mit Ausnahme Konrads,zumindest unversehrt hier angekommen, aber in ihren Augen las er tiefe Verstörung. Isenhart, der binnen weniger Tage vom Jungen zum Mann gereift war, hängte eine gespannte Armbrust neben dem Eingang an die Wand, und als einmal ein Schemel umfiel, sprangen Sophia und Marie instinktiv auf – bereit zur Flucht.
    Was sie alle benötigten, waren ein freundliches Wort und eine hilfsbereite Hand. Darin bestimmte der Geistliche seine neue Mission. Er wollte Hoffnung und Zuversicht zurück in ihre gepeinigten Gemüter führen. Und wieder ein Lachen erschallen hören.
    Im Handumdrehen ereignete sich mit ihnen das, was Isenhart als Junge für die Geschichte von König Artus eingenommen hatte: Sie saßen allesamt an einem runden Tisch. In einem gewissen Sinne zumindest, denn selbstverständlich galt im Zweifelsfall Konrads Wort, ebenso wie Heiligster nichts an dem Status von Sophia und Marie als

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