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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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den drei Männern über den Körper, zwischen den Schlägen mit den Flegeln wischten sie sich mit den Oberarmen über Stirn und Augen. Feinste Spreu, aufgewirbelt von den kräftigen Hieben, tanzte in der Luft und nistete sich in Haaren, Ohren und Atemwegen ein. Hin und wieder linderten sie den Hustenreiz mit etwas Bier, das Marie gebraut hatte. Pures Wasser wäre ihnen auch recht gewesen, aber wie jedes Kind wusste, wurde man davon krank, bekam Fieber, Durchfall oder beides zusammen.
    Die Weizenkörner hatten sich im Zuge des Sommers mehr und mehr verhärtet, sie lösten ihre Verbindungen zur Ähre und wurden nur mehr von den in der Sonne verdorrten Verkapselungen gehalten, um nun aus diesen durch die Wucht der Flegelhiebe herausgesprengt zu werden und auf den hölzernen Boden der Tenne zu purzeln.
    »Gut jetzt«, sagte Isenhart etwas außer Atem. Henrick war froh über die Unterbrechung. Er und Konrad öffneten die gegenüberliegenden Tore der Scheune und entfachten auf diese Weise einen feinen Windsog. Der strich über den Boden, nahm die Spreu mit sich und trennte sie von den schwereren Weizenkörnern, die Hieronymus auflas und in einem flachen Korb aus Bast sammelte, in dem er sie worfelte: Er warf sie in die Luft, der Wind riss die feineSpreu mit sich, die davon befreiten Körner führte die Schwerkraft zurück in den Korb. Diese konnten nun gemahlen werden.
    Am Ende des Tages hatten sie fünf Joch abgeerntet. Morgen, wenn Isenhart und Konrad nach Spira zurückkehrten, würden sie zu viert mit der Arbeit fortfahren.
    Da die feine Spreu sie alle juckte und zu den aberwitzigsten Verrenkungen zwang, wenn sie sich durchs Kratzen Erleichterung verschaffen wollten, beschlossen sie, im Fluss nach Linderung zu suchen.
    Was war es für eine Wohltat, in die Fluten zu tauchen und mit einem Schlag jeden Juckreiz hinter sich zu lassen! Sophia und Isenhart konnten schwimmen, der Rest achtete beim Baden darauf, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren.
    »Ich bin kein Fisch«, pflegte Konrad auf die Frage zu erwidern, weshalb er sich weigerte, schwimmen zu lernen.
    So blieb das nasse Element an diesem Nachmittag Isenhart und Sophia vorbehalten, die – sich gegenseitig mit Blicken anstachelnd – den Rhein überquerten. Erschöpft erreichten sie die andere Uferseite und sanken ins Gras. Sie prusteten, so sehr hatten sie sich verausgabt.
    Ihr Leinen klebte ihnen eng am Körper, und was Isenhart bereits bemerkt hatte, gewann nun unübersehbar an Formen. Sophia, dieser Wildfang, der sich überhaupt nicht in die Rolle der braven Fürstentochter fügen wollte, der die roten Haare wie eine Entsprechung ihres Charakters immer ein wenig unbändig vom Kopf abstanden – außer jetzt, da sie nass waren –, war eine junge Frau geworden. Ihren Bewegungen wohnte immer noch etwas Ungestümes inne, aber sie war schon lange kein Trampel mehr. Eigentlich, konstatierte Isenhart, lag es in der Natur der unbändigen Bewegung, nicht gleichzeitig grazil sein zu können. Doch Sophia bewies ihm alltäglich das Gegenteil.
    Auch Sophia von Laurin betrachtete den jungen Pinkepank neben sich, wenn sie glaubte, dass dieser es nicht bemerkte. Er war außergewöhnlich. Dieses Urteil ihrer ermordeten Schwester besaß auch heute noch Gültigkeit. Er war nicht überragend, keineswegs, nicht besonders groß, hübsch oder kräftig. Sophia vermochte eseinfach nicht in Worte zu fassen, und sie vermutete, Anna war es vor fünf Jahren ebenso ergangen. Weshalb sie das Wort »außergewöhnlich« gewählt hatte.
    Es ärgerte Sophia, keinen passenderen Begriff zu finden, auf der anderen Seite bestätigte der Mangel ihres Wortschatzes nur, was die Faszination an Isenhart ausmachte: ihn nicht komplett greifen zu können.
    Isenhart fragte sich, wann er je mit Sophia alleine gewesen war, und konnte sich an einen solchen Moment nicht erinnern. Stets hatten sie intuitiv etwas Abstand voneinander gewahrt, als könne die Nähe des anderen die Kontrolle über sich selbst gefährden. Das fürchteten sie möglicherweise am allermeisten: nicht mehr Herr ihrer selbst zu sein.
    Und jetzt, da es so weit war, wussten sie nicht, worüber sie sprechen sollten. Sie hatten darin keinerlei Übung.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass wir das schaffen«, meinte Isenhart, um etwas zu sagen.
    »Ich auch nicht«, pflichtete Sophia ihm bei und empfand sich im selben Augenblick als nicht besonders geistreich.
    Dann kehrte wieder Stille ein. Es gab ein weites Feld zwischen ihnen, in dem

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