Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
Vom Netzwerk:
von Heiligster. Wie bei ihrem Vater fürchtete er manchmal, wenn ihr Blick sich in den seinen bohrte, er könne in ihre Augen fallen und für immer verschwinden.
    Bei der Ernte bewegte sie sich mit – wenn man das sagen konnte – ungelenker Anmut, und es war diese besondere Anmut, die ihn bei ihrem Anblick zutiefst rührte. Sie vermochte ihren Hals so stolzzu recken, wie es nur den Hochwohlgeborenen vorbehalten war. Ihre Worte wählte sie mit Bedacht, ihre femininen Attribute verhüllte sie meist unter Leinengewändern – er wurde ihrer nur ansichtig, wenn sie den Fluss durchschwammen. Für das fleischliche Verlangen, das Isenhart in solchen Momenten bei ihrem Anblick verspürte, schämte er sich. Seit Anna war keine Frau von Bedeutung mehr in sein Leben getreten. Bis auf Sophia.
    Auch wenn er jeden Zoll von Annas Körper gekannt hatte, war sie für ihn eigentlich unantastbar gewesen – das galt auch für Sophia. Sie war die Tochter eines Fürsten, und er war ein Schmied. Die Trennung ihrer Stände verbot eine Liaison und erst recht eine Ehe. Ganz davon abgesehen, wie Konrad wohl reagierte, wenn er erfuhr, dass Isenhart sich offenbar in der Reihenfolge ihrer Geburt in die Töchter des Hauses Laurin verliebte.
    Sicher, Anna war das lockende Geheimnis der Weiblichkeit gewesen, bei genauerer – und ein wenig schmerzlicher – Betrachtung war sie in diesem Sinne austauschbar. Und natürlich wieder nicht, denn das, was sie verbunden hatte, war etwas Einzigartiges gewesen.
    Wenn Isenhart erwachte, nachdem sie sich geliebt hatten, wenn er ihren Körper betrachtete, die Zehen, ihre verdeckte Scham, den Bogen der Schulter, den Schwung, den ihre Lippen nahmen, den engen Hof um ihre Brustwarzen oder die Struktur, die die Wirbelsäule in der Mitte ihres Rückens warf, dann war das alles gewesen, was er jemals hatte sehen wollen.
    Und all das legte Sophia in einen einzigen Augenaufschlag, ohne um dessen Wirkung zu wissen. Lange glaubte Isenhart, er fühle sich zu ihr hingezogen, weil er Anna in ihr sah. Doch bis auf die Eltern und den Bruder hatten sie nichts gemein.
    Das, was er für Sophia empfand und täglich aufs Neue unterdrückte, weil es für sie beide keine Zukunft gab, war reifer als jenes Gefühl, das ihn zu Anna hingezogen hatte. Seit Anna wusste er, wie eine junge Frau ohne Kleider aussah, wie es sich als Mann anfühlte, in sie einzudringen, kurz: all das Körperliche war durch Anna nicht länger terra incognita.
    Sophia dagegen war noch Neuland, allerdings in einem anderen Sinne.
    Jene Sophia, die ihm das Ansinnen von Reimar von Vogt anvertraute – in der Hoffnung, er, Isenhart, würde sie ehelichen und damit dem neuen Herrn von Heiligster zuvorkommen.
    Aber Isenhart konnte nicht.
    Schon früh hatte er bemerkt, dass er anders war. Er kam sich vor wie eine Gestalt, die für eine andere Zeit, eine andere Epoche vorgesehen gewesen war. Wie Walther und auch Henning. Er gehörte nicht hierher.
    Lediglich eine Laune oder ein Irrtum der Schöpfung hatte ihn in diese Ära katapultiert, aus der auszubrechen ihm nicht gegeben war. Er war ein Gefangener seiner Zeit.
    Die von ihm schon oftmals in Tagträumen ausgemalte Zweisamkeit mit Sophia war auch seinetwegen zum Scheitern verurteilt. Sie würde das Leben teilen mit einem Rastlosen, ewig Fragenden, mit einem, den die große Unruhe umtrieb, wie Walther von Ascisberg es einmal formuliert hatte – den Willen nämlich, sich nicht mit dem zufriedenzugeben, was war. Doch die Gegebenheiten seiner Zeit zwangen ihn, seinen Fragen nur im kleinsten Rahmen nachzugehen. Ihm war, als wäre er ein Rabe, der in der Lage war, an einem einzigen Tag an die siebzig Meilen zurückzulegen – und den man mit einem Stück Seil an einem Pflock befestigt hatte, der es ihm nur mehr erlaubte, einen Radius von sechs Fuß zu erkunden.
    Mit ziemlicher Sicherheit würde aus ihm ein merkwürdiger, verbitterter Kauz werden, der seiner Umwelt mit galligem Spott begegnete. Ein unausstehlicher Griesgram, dessen Gesellschaft einem den Tag verhagelte.
    Genau das hatte der Mensch, zu dem Isenhart sich am meisten hingezogen fühlte, nicht verdient. Und er, ein Diktum der Logik, aus diesem Grund diesen Menschen nicht. Sophia würde ganz gewiss zeit ihres Lebens ein wandelndes Mysterium bleiben, nie könnte er sie in Gänze ergründen. Nichtsdestotrotz war Isenhart mit ihr aufgewachsen und konnte ihre Reaktion daher vorhersehen. Sophia würde es trotzdem darauf ankommen lassen – und an seiner Seite

Weitere Kostenlose Bücher