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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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in Isenharts Feststellung jene Prise Fröhlichkeit fehlte, die man von einem erwarten konnte, der behauptete, ihm liege am Glück eines anderen Menschen – und dieses Glück gerade drauf und dran war, sich einzustellen. Aber er hakte nicht nach. Er verfügte nicht über die Intelligenz seines Begleiters, dafür aber über ein ausgezeichnetes und meist treffsicheres Gespür, und das riet ihm, den Mund zu halten.
    Als der Treck nach Konstanz weiterzog, trennten sich ihre und Johanns Wege.
    Im Februar führten Konrad von Laurin und Isenhart ihre Pferde durch den Aargau westlich vom Zürichgau und nördlich von Luceria, wobei die Ausläufer des Jura ihnen einen kleinen Vorgeschmack auf die Alpen boten.
    Die frostigen Temperaturen zwangen sie noch jeden Abend zur Einkehr. Bei einer ungeschützten Übernachtung hätte die Gefahr bestanden, zu erfrieren oder die Pferde zu verlieren – oder beides. Da die Tage recht kurz waren, lag die jeweils zurückgelegte Etappe zu Isenharts Missfallen um einiges unter dem, was Isenhart errechnet hatte. Konrad wiederum schlugen das Essen in den Wirtshäusern und das Wetter aufs Gemüt.
    Zwei Gasthausschlägereien später erblickten sie in den ersten Märztagen das Benediktinerkloster St. Leodegar, um das herum sich aus einem kleinen Fischerdorf eine Stadt entwickelt hatte: Luceria. Diese lag an einem See von so unglaublichen Ausmaßen, dass Konrad und Isenhart zunächst glaubten, bereits das Meer erreicht zu haben. Vielleicht, so Konrads Hoffnung, hatten sie einen Weg gefunden, der an den Alpen vorbei nach Genova führte.
    Isenhart stieg vom Pferd, tauchte die Hand ins klare Wasser und benetzte seine Lippen, bevor er den Kopf schüttelte. »Das ist Süßwasser«, sagte er, als er sein Pferd wieder bestieg.
    »Und?«
    »Und Meereswasser ist salzig.«
    »Und wenn das hier ein Süßwassermeer ist?«
    »Das gibt es nicht.«
    »Sagt wer?«
    »Sagt Walther.«
    »Oha. Du fühlst dich doch sonst auch nicht wohl, wenn du etwas nicht infrage stellen kannst«, stichelte Konrad.
    »In diesem Fall vertraue ich auf Walther.«
    In Luceria füllten sie ihre Vorräte auf, die nicht nur aus Lebensmitteln bestanden, sondern auch aus Decken und Fellen für sie selbst und die Pferde. Außerdem Holzscheite, Reisig und zwei Feuersteine. Wie Urs, ihr fünfzehnjähriger Führer, den sie vor einem Gasthaus getroffen hatten, meinte, war es höchst riskant, um diese Jahreszeit den Vogelberg zu passieren. Oben lag mit Sicherheit noch Schnee, in der Nacht würden sie dem Frost ausgeliefert sein. Wenn dann am Tag darauf auch noch die Sonne durch eine dicke Wolkenschicht verdunkelt wurde, hatten sie schlechte Karten. Besser sei es, mindestens bis zum Mai auszuharren.
    Isenhart wollte nicht so lange warten, und Konrad kam es suspekt vor, dass die Eltern ihres Bergführers ihren Sohn so ähnlich wie einen Auerochsen nannten.
    Am 25. März 1196 unternahmen sie ihren ersten Versuch.
    Vom See führte ein Weg direkt hinauf in die Berge. Die Steigung zwang sie, die größten Teile der Strecke zu Fuß zurückzulegen und die Pferde hinter sich herzuführen.
    Am Ende des Brünigpasses, von dem aus bereits größere Berge zu sehen waren, die aus dem Massiv hervorstachen und ihre Gipfel in den Himmel reckten, war an ein Fortkommen nicht mehr zu denken. Der Schnee reichte den Pferden bis zum Bauch. Sie stapften – dabei versanken sie selbst bis zur Brust – eine Schneise von dreihundert Fuß in die weiße Pracht, aber sie sahen nicht, wohin sie traten. Wären sie vom Weg abgekommen und auf abschüssiges Gelände geraten, hätte der Schnee sie einfach verschluckt.
    »Im Sommer finden wir hier immer welche«, sagte Urs. Die dreihundert Fuß hatten sie eine knappe Stunde gekostet. »Der Schweiß bleibt in den Kleidern«, wusste der Junge, »und nachts gefriert er, wenn er nicht vorher getrocknet ist.«
    »Wie viele Meilen sind es von hier bis zum Grimselpass?«, fragte Isenhart außer Atem. Oben, am Grimselpass, sollte es eine Unterkunft geben, nicht mehr als eine fensterlose Holzbaracke – dafür aber ausreichend vom Wind geschützt, um ein Feuer in Gang zu setzen.
    »Ich weiß nicht«, erwiderte der Junge, denn wie sich herausstellte, konnte Urs nicht rechnen. Und Zahlen, die über die zehn Finger an seinen Händen hinausgingen, waren für ihn nicht greifbar, außer, dass er auf sie den Begriff »viele« anwandte.
    Isenhart war ratlos – und verärgert. Aber nicht wegen der mangelnden Bildung ihres jungen Bergführers,

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