Isenhart
Seitwärtsbewegung seines Kopfes kam die Reglosigkeit so abrupt über ihn, dass die anderen neugierig wurden auf den Umstand, der das bewirkt hatte.
Der Name des Umstands, so sollten sie alsbald herausfinden, war Lugardis.
Schwarzhaarig, wache dunkle Augen, feingliedrig und doch »an den richtigen Stellen füllig«, wie Konrad es ausdrücken sollte, als er am Abend seine Sprache wiederfand. Lugardis beugte sich hinab und knetete Wäsche im Bachwasser, wozu sie die Novizinnentracht abgelegt hatte. Sie kniete dort in ihrer Tunika, das Haar fiel ihr den Rücken hinab, und nicht nur auf Konrad stürmten eine Reihe unzüchtiger Bilder ein. Auch Isenhart wusste die außergewöhnliche Schönheit des Mädchens zu schätzen.
Biz, der Konrads sinnentleertem Blick gefolgt war, sog hörbar die Luft ein, um dann ähnlich wie Konrad das Atmen aufzugeben.
»Lugardis, nimm die Wäsche und komm!«, rief eine helle Stimme von weiter oberhalb. Sophia, die ihr Augenmerk zuerst von Lugardis zu lösen imstande war, schaute hinauf und entdeckte die Äbtissin auf der Treppe.
Erst jetzt, als die Novizin die Wäsche aus dem Wasser zog, entdeckte sie die drei Männer am Ufer, Biz, Isenhart und Konrad. Sieerschrak und floh die Stufen hinauf. Doch auch ihre überstürzte Flucht war durchdrungen von der Anmut ihrer Bewegungen.
Äbtissin Clementia – »füllig, aber an den falschen Stellen« – kam ihnen entgegen. Biz hatte dafür gesorgt, dass sie ihre erste Nacht im Schutz des neuen Stiftes verbringen konnten.
»Du hast eine Frau zu Hause«, erinnerte Sophia ihren Bruder, der immer noch an die Stelle starrte, an der Lugardis verschwunden war.
»Ich hab nur noch nie so eine Tunika gesehen«, brachte Konrad hervor, und die Rauheit seiner Stimme entlarvte die Scham, die er empfand, weil seine Schwester ihn ertappt hatte.
Das Feuer prasselte in Mutter Clementias Kammer, die noch nicht fertig überdacht war. Biz nagte an einem drei Tage alten Hühnerknochen, alleine der Geruch wusste den Hunger etwas zu stillen.
»Wozu benötigt er all das Harz?«, hatte Isenhart Biz gleich bei ihrer ersten Begegnung gefragt und bereits am Achselzucken des Mannes erkannt, dass er keine befriedigende Antwort auf seine Frage erhalten würde. Denn Biz interessierte es im Allgemeinen nicht, wofür sein Abnehmer ihn bezahlte. Hauptsache, er bezahlte.
Gleichwohl erinnerte Isenhart sich an eine kleine Notiz, auf die er in der Burg Weinsberg gestoßen war – kurz bevor Simon von Hainfeld ihm diesen mörderischen Fausthieb verpasst hatte. Resina. Harz.
Konrad saß in der Ecke, die Arme verschränkt. Er starrte ins Nichts. Man konnte meinen, er denke an seine ermordete Schwester, dabei versuchte er sich nur auszumalen, wie Lugardis wohl ohne Tunika aussah. Ab und zu verirrte sich eine Maus auf der Suche nach Nahrung in die Kammer, um bei der kleinsten Bewegung sofort wieder die Flucht anzutreten.
Isenhart schaute ins Feuer, das ihn an seine Arbeit als Schmied erinnerte, während Sophia der Äbtissin den Grund und vor allem die Dringlichkeit ihrer Mission darlegte. Gelangte sie dabei an Stellen, die sie auf Nachfrage nicht detailliert genug beschreiben konnte, sprang Isenhart ihr bei.
Ansonsten gaukelten die Flammen ihm Formen und Schattierungen vor, aus denen sich Antlitze bildeten. So loderte Giselbertvor ihm auf und auch Wilbrand von Mulenbrunnen, dann Anna und ihr Vater Sigimund. Sicherlich waren diese »Erscheinungen« der Einbildung geschuldet, wie Isenhart umgehend konstatierte, aber insbesondere die Gesichter von Anna und auch von Walther, die sich bildeten, während ein Ast knackte, der in der Hitze brach, und sich ihm zuzuwenden schienen, strichen ihm nicht nur mit der Wärme des Feuers über die Haut, sondern auch mit der des Trostes.
»Und dieses Ungeheuer verkehrt in Haslach?«, vergewisserte Schwester Clementia sich besorgt.
»So ist es – ich habe schon mit ihm verkehrt«, erklärte Biz und genoss den Schauer, den seine scheinbare Abgebrühtheit der Geistlichen bescherte.
»Er will von Euch noch mehr Harz erwerben, richtig?«, schaltete Isenhart sich ein.
»Ja. Ich habe es hier gelagert und mache den Handel morgen perfekt.«
»Aber dann müsst Ihr ihn nur noch überwältigen und vor Gericht bringen«, stellte Clementia fest. Um ihren Blick dann auf Isenhart zu richten: »Wozu also erbittet Ihr meine Hilfe?«
»Euer reger Geist hat den springenden Punkt benannt«, lobte Isenhart sie. Sophia bemerkte, wie sich die Äbtissin entspannte.
Weitere Kostenlose Bücher