Isenhart
mit den Füßen voran ins Wasser, drückte sich gegen die Strömung und sah sich zu akrobatischen Verrenkungen gezwungen, als es darum ging, die Schultern durch die Öffnung zu befördern.
Die Kälte des Wassers umschloss ihn bis zum Hals und fegte alle Müdigkeit davon, die sich auf dem kräftezehrenden Nachtmarsch von Haslach hierher angesammelt hatte. Er holte ein letztes Mal tief Luft und tauchte, ließ sich von der Strömung in die komplette Dunkelheit tragen. Er war blind, und das Rauschen der Strömung machte ihn taub. Entsetzt krallte er sich ins Gestein und warf einen Blick zurück. Aber das Loch, durch das er in diesen Kanal gelangt war, war schon nicht mehr zu erkennen.
Die Ratte schoss ihm durch den Kopf. Sie war auch im Kanal verschwunden. Und sie war ebenso wie er auf Luft angewiesen. Eilig stieß Isenhart sich mit Händen und Füßen nach vorne, nur weiter und weiter.
Während sich seine Beklemmung steigerte, kam ihm der Gedanke, dass es sich für ihn kurz vor seiner Geburt genauso angefühlt haben musste, dass er sich damals mit der Nabelschnur um den Hals, ebenfalls um Luft ringend, durch den Geburtskanal gekämpft haben musste, um letztlich dann doch zu ersticken.
Da entdeckte er einen Lichtschimmer, der, kaum gesichtet, schon fast wieder an ihm vorbeigezogen war, Isenharts Hand schoss hoch, packte eine Gesteinskante.
Für einige Augenblicke maßen sich seine Muskeln und die Strömung, bis es ihm gelang, sich nach oben zu ziehen. Mit dem Kopf zuerst stieß er durch die Oberfläche und hustete.
Dann, bemüht, kein weiteres Geräusch zu verursachen, verschaffte er sich einen Überblick. Er sah ein hell erleuchtetes Gewölbe, das zwei Durchlässe aufwies. Einen hinten links, wo es seine Begrenzung durch die Wand erfuhr, und einen zu Isenharts Rechten.
Er selbst kauerte in einer Art Tränke, etwa neun Fuß lang, drei Fuß breit, die in den Felsboden getrieben worden war. Trotz des Rauschens des Wassers lauschte er nach einem Geräusch, nach jemandem, der hier arbeitete oder wachte oder vielleicht nur schlief. Aber es schien, als sei kein Mensch hier, ein Zustand, der nicht allzu lange anhalten dürfte, wie er dem Lichtschein entnahm, der aus dem Nebenraum herüberdrang. Dort mussten Dutzende Kerzen oder Fackeln brennen.
Behutsam zog er sich aus der Tränke und verharrte zunächst in der Hocke, während das Wasser an Haut und Kleidung hinablief und auf den felsigen Grund tröpfelte.
Links zog sich eine Werkbank aus alter, rissiger Eiche an der Wand entlang. Isenhart war sich im ersten Moment nicht ganz sicher, was für ein bitterer Geruch es war, der in jedem Riss des Gewölbes zu nisten schien, entschied sich dann aber für Myrrhe. Günther wie Walther hatten sie bei Entzündungen im Rachen und an den Zähnen verwendet, und bei vielen Frauen war sie beliebt, um damit die Monatsbeschwerden erträglicher zu gestalten. In der Konzentration, die seine Nase auffing, hatte Isenhart Myrrhe allerdings noch nie gerochen.
Etwas beobachtete ihn, wie er plötzlich zu bemerken glaubte. Etwas sah ihn von der Seite an, er konnte den Blick förmlich spüren, tat aber so, als sei er ahnungslos, während er sich – ohne sich zu regen – nach einer geeigneten Waffe umsah. Erfolglos.
Wer auch immer ihn unverwandt von der Seite anstarrte, er musste ihn angreifen und mundtot machen. Es galt jetzt zu verhindern, dass seine Flucht entdeckt wurde. Ansonsten waren Konrad und er so gut wie tot. Und Sophia …
Isenhart wollte diesen Gedanken nicht zu Ende denken. Er konzentrierte sich und federte mit ausgebreiteten Armen hoch, kampfbereit. Das, was ihn anstarrte, war ein Auge. Es lag auf dem Tisch und war mit einer rötlich gelben Substanz überzogen. Das Lid hatte man entfernt und mit ihm die Wimpern, was den Eindruck des eintönigen Starrens noch betonte. Das Auge lagerte neben einem Holzeimer und einem Unterarm samt Ellbogengelenk. Dahinter, dicht über dem Eichentisch, prangten entrollte Pergamente an der Wand. Federkielzeichnungen. Schwarze, feine Linien, die den Aufbau jener menschlichen Leichenpräparate spiegelten, die unter ihnen lagen.
Isenhart ließ den Blick durch den Raum schweifen. Er war übersät von Papyrusrollen, von Tintenfässern und Kielen. Und vonmenschlichen Körperteilen. Einem Fuß etwa, den Isenhart im Schein der zwei Öllampen ausmachen konnte, oder einem Paar Ohren, die noch blutbefleckt waren und in gelblicher Bleichheit nebeneinanderlagen.
Bei anderen mochte dieser Anblick Entsetzen
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