Isenhart
zu denen sein Vater ihn gezwungen hatte, um die Gemarkungen des Hauses Laurin abzuschreiten. Aber Marie blühte dort auf, ihre geduckte Haltung verlor sich, jede Verkniffenheit wich aus ihrem Gesicht. Ein-, zweimal lächelte sie sogar.
Konrad, ansonsten ein Mann schneller Entschlüsse und bekannt für sein loses Mundwerk, nahm sich zurück. Mehr noch: Ihretwegen offenbarte er eine Feinfühligkeit, die man ihm schon immer zugetraut, aber nie zugebilligt hatte.
Isenharts Augen wanderten noch einmal über Annas Körper, über ihr Gesicht, das nun – vom Griff des Eises befreit – eine widersinnig rosige Färbung angenommen hatte. Keine Linie war ihm unvertraut. Das, was er sah, als sterbliche Hülle zu akzeptieren, als eine Masse an Fleisch, an dem sich alsbald die Fliegen laben und in dem sie ihre Eier absetzen würden, widerstrebte ihm zutiefst. Er fand seinen Verstand unfähig, Anna ohne Zusammenhang mit ihrem Körper zu sehen.
Und selbst, als er es mit aller Kraft versuchte, als er sich zwang, Walthers Perspektive zu seiner zu machen, stutzte Isenhart. Denn etwas fehlte. Und es machte ihn verrückt, dass er nicht wusste, was es war. Was das Fehlen hervorrief.
Die Doppeltür flog auf, das Holz, mit Lederriemen am Gestein befestigt, krachte gegen die Wand. Isenhart fuhr herum.
Sigimund und Mechthild von Laurin standen im Eingang wie gemeißelt. Beim Anblick ihres Kindes stiegen Mechthild die Tränen in die Augen, ihr Gatte räusperte sich vernehmlich, um seine Trauer zu überspielen.
Isenhart sah zu Walther von Ascisberg. Dieser senkte den Blick zu Boden.
Isenhart folgte seinem Beispiel. Kurz nur erhaschte er einen Blick auf Sigimund von Laurin. Ein Mann, dem das Liebste entrissen worden war, der eigentlich – so wie seine Gattin – gänzlich zerstört dort hätte stehen müssen, wirkte vitaler denn je. Die Augen wach, das Kinn vorgestreckt, jede Faser gespannt. Der Verlust hatte das Herz gebrochen, aber nicht den Mann.
Sigimund und Mechthild traten vor, der Winterwind blies durch den Raum und beugte die Flammen der wenigen Kerzen, die Hieronymus aufgestellt hatte.
Das rhythmische Geräusch, das sich ihnen vom Flur her näherte, kam wie eine Erlösung über Walther und ihn. Es war das leise Rasseln eines Kettenhemds. Isenhart konnte es seinem Besitzer zuordnen.
Jedes Kettenhemd war ein Unikat, sie besaßen nicht nur unterschiedliche Gewichte oder Farben, sie verfügten auch über ein charakteristisches Geräusch. Für dieses Hemd, das er hörte, hatteIsenhart über dreißigtausend Ringe geschmiedet. Zwanzigtausend hätten genügt und ihm drei Wochen Arbeit erspart, aber der Empfänger des Hemdes war ihm ein unerschütterlicher Ansporn gewesen. Konrad von Laurin trug das wertvollste und beste Kettenhemd weit und breit.
Und mit diesem trat er in die Tür. Sein Vater wandte sich ihm zu.
»Wir haben ihn«, sagte Konrad ein wenig außer Atem, »wir haben Alexander von Westheim.«
Der Wandel von der Nacht zum Tag hatte sich hinter einer dichten Wolkendecke so heimlich vollzogen, als gestattete der Himmel ihnen, noch ein wenig in der Dunkelheit zu verharren. Im Burghof brannten die Fackeln in ihren Halterungen, als Isenhart und Walther von Ascisberg dem Fürsten von Laurin und seinem Sohn zum Wagen des fahrenden Händlers folgten.
Eines der Pferde schrie gell auf, als Chlodio ihm mit dem Schlichthammer seitlich auf die Hufe schlug. Der Frost hatte sich mit einer Intensität über das Land gelegt, die die Pferde im Schlaf überraschte. Einige von ihnen waren festgefroren, als sie erwachten. Und fanden sich unfähig, ihre Läufe aus eigener Kraft dem Bodenfrost zu entreißen. Der Pinkepank musste sie mit geschickten Schlägen des wuchtigen Hammers aus ihrer misslichen Lage befreien, ohne ihnen dabei die Beine zu brechen.
Ob Alexander von Westheim vor Kälte oder aus Angst vor der Strafe zitterte, war schwerlich auszumachen. Zwei Männer hielten ihn links und rechts untergehakt. Isenhart erkannte in ihnen Rupert, den Bogner, und dessen Sohn. Sie waren unter denjenigen gewesen, mit denen Konrad in der Nacht aufgebrochen war.
Isenhart empfand die Ruhe, das In-sich-Gekehrte seines Lehrers, der neben ihm den Hof durchschritt, als irritierend. Er selbst meinte, das Blut durch seine Ohren rauschen zu hören. Er war aufgebracht, er spürte keine Kälte, nur Zorn. Von Ascisberg wirkte dagegen so, als sei er in Gedanken ganz woanders.
Isenharts Intuition trog nicht, nur zog er daraus die falschen Schlüsse. Aber
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