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Isenhart

Isenhart

Titel: Isenhart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Karsten Schmidt
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innen gedrückt, er hat sie zerschmettert.«
    Isenhart trat nicht näher an ihn heran, daher warf von Ascisberg einen Blick über die Schulter. Als er Isenharts Gesichtsausdruck sah, wurde ihm sein mangelndes Feingefühl bewusst. Er drückte ihm die Fackel wieder in die Hand.
    »Hat er ihr … ist das … ist ihr das bei lebendigem Leib widerfahren?«
    Von Ascisberg schüttelte den Kopf.
    Isenhart war ihm dankbar. Noch schlimmer als der Anblick, der ihn entsetzte, war die Vorstellung dessen, was da draußen passiert war. Wie Anna sich gewehrt, vielleicht um Hilfe gerufen, gefleht hatte, natürlich ungehört, wie der Mörder ihr die Klinge durch den Hals getrieben hatte und das Leben aus ihr hinausgelaufen war und den Schnee durchtränkt hatte.
    Oder genauer: Was da draußen passiert war, während er die Strafe verbüßte, mit der sein blasphemischer Wissensdurst in die Schranken gewiesen worden war. Hätte er sich gezügelt und dieFrage nach den Bäumen und ihrem Laub nicht an Hieronymus gerichtet, er wäre rechtzeitig im Gewölbe gewesen.
    Vermutlich wäre er auch jetzt noch dort, würde Anna in seinen Armen halten, würde ihr Atem seine Wimpern zum Tanzen bringen und er – das Ohr auf ihrer Brust – ihren Herzschlag hören. Ruhig und gleichmäßig, so beruhigend, dass er darüber einschlafen würde.
    Wenn man Brennnesseln kochte und noch eine Kelle von Idas Bier hinzugab, entstand eine Mahlzeit, die den Brei aus zerstampftem Getreide und Wasser, den sie täglich zu sich nahmen, aufwertete. Genau so roch Annas Haut, nach gekochten Brennnesseln, frisch und ein wenig süßlich. Wenn seine Lippen ihren Bauch küssten, schmeckte er es auch.
    All das war nun Teil der Vergangenheit, war unwiderruflich verloren.
    Und das war seine Schuld.
    Walther von Ascisberg hatte die Inspizierung der Wunde beendet und erhob sich. Er gab Isenhart mit einer Geste zu verstehen, dass er erneut mehr Licht benötigte, aber Isenhart reagierte nicht.
    »Isenhart.« Walther von Ascisberg hatte die Stimme nicht erhoben, Isenhart war, als hätte er kaum etwas gesagt, es war nur ein Wispern, ein Windhauch, der seinen Namen trug. Er richtete den Blick auf seinen Lehrmeister.
    »Ich brauche mehr Licht.«
    Isenhart löste sich aus seiner Erstarrung. Verwundert nahm er wahr, wie Walther von Ascisberg auf die Knie sank. Walther schob Annas Kleid in die Höhe und entblößte so ihre Scham.
    Um ein Haar wäre Isenhart die Fackel aus der Hand gefallen. »Was macht Ihr da?« Seine Empörung war nicht zu überhören.
    »Ich untersuche ihren Schoß«, gab Walther von Ascisberg ebenso ruhig wie unbeeindruckt zur Antwort. Um hinzuzufügen: »Komm näher mit der Fackel, Isenhart.«
    Behutsam spreizte er mit Daumen und Zeigefinger Annas Schamlippen. Diese Entweihung war weit mehr, als Isenhart ertragen konnte. Wütend riss er die Fackel in die Höhe und entzog seinem Lehrmeister so das nötige Licht. Dieser warf ihm einen verärgerten Blick zu.
    »Ihr habt nicht das Recht, Anna … die Tochter des Fürsten auf diese Weise zu berühren«, stieß er hervor und bemerkte, wie er am ganzen Körper zu zittern begann.
    Von Ascisberg federte erstaunlich geschmeidig in die Höhe und stand mit einem Mal ganz nah vor ihm. Seine Augen, ansonsten rehbraun, wirkten tiefschwarz, sein Blick war bohrend. »Sondern wer? Du?«
    Isenharts Mund fühlte sich staubtrocken an, plötzlich entdeckte er im Wesen seines Lehrers einen Zorn, den er noch nie bei ihm erlebt hatte. Begegnete er doch sonst stets einem friedfertigen, um Ausgleich bemühten Geist, dessen Auftreten ihn bewogen hatte, diese Gerüchte vom zweiten Kreuzzug als das Gerede von Waschweibern zu betrachten.
    Doch in diesem Augenblick erkannte Isenhart die Wahrheit. Es war kein Geschwätz beim Kneten der Leinen im Fluss: Der Mann, der ihm in die Augen blickte, hatte die vier Muslime geköpft, ein in heiliger Verzweiflung Rasender, der die aus jeder seiner Poren atmende Todesangst in seine Schläge gelegt hatte. Und natürlich hatten seine Gegner diesem Ausbruch nichts entgegensetzen können.
    »Nein«, brachte Isenhart hervor, »niemand.«
    Walther von Ascisberg deutete ein Nicken an, wich aber keinen Schritt zurück, und sein durchdringender Blick lag weiterhin in seinem. »Pilze sammeln, nicht wahr? Was glaubst du? Dass ihr damit alle täuschen konntet?«
    Isenhart überkam die Erkenntnis wie ein kalter Schauer. Sie hatten sich für schlau gehalten, für vorsichtig. Doch im Grunde hatte er es immer geahnt, immer

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