Isis
freundlicheren Unbefangenheit zu weichen. Auch Isis schien ihre anfängliche Scheu allmählich verloren zu haben. Manchmal jedoch sah sie ihn so aufmerksam an, dass er sich unbehaglich fühlte. Durchschauten ihn diese hellgrünen Augen?
Sie ist nichts als ein neugieriges, kleines Ding, sagte er sich dann. Beachte sie einfach nicht! Dann wird sie irgendwann schon damit aufhören, dich so ungehörig anzustarren.
Nichts als ein gewöhnliches kleines Mädchen.
Aber das war nicht die ganze Wahrheit. Man konnte Isis nicht einfach übersehen, auch wenn man sich anstrengte, denn sie war ein Mädchen von erstaunlicher Schönheit.
Mochte sie vergessen, sich zu waschen, mochte sie wie andere ihres Alters halb nackt herumrennen, toben und schreien, sie fiel sofort unter all den Kindern auf. Es lag nicht allein an ihren langen, geraden Gliedern, dem unverwechselbaren Gang und den schönen Augen — es war eine Art inneres Leuchten, das sofort auf sie aufmerksam werden ließ.
Sie selber schien sich ihrer Wirkung nicht bewusst zu sein, und Selene und Nezem unternahmen nichts, um daran etwas zu ändern. Basa entging jedoch nicht, wie die Augen seines Erstgeborenen zu glänzen begannen, sobald er Isis erblickte, und wie eifrig Anu auf einmal zu gestikulieren begann, als könne er damit sein Stottern überspielen. Sie waren noch Kinder, seine beiden Söhne, aber schon ganz in Isis’ Bann.
Nicht anders, wie er seit langem von Selene regelrecht besessen war.
»Kommt ihr denn voran, Nezem und du?« Ein kaum merkliches Lächeln erschien auf Selenes Gesicht.
Er war fasziniert, wenn sie sprach, aber noch viel besser hätte es ihm gefallen, Selene mit wilden Küssen endlich zum Schweigen zu bringen. Sobald er sie länger betrachtete, überkamen ihn erregende Gedanken: zwei Kerle anzuheuern, die sie nachts in einer dunklen Gasse packten und zu all dem zwangen, was sie ihm bislang verweigert hatte.
»Und ob!« Es kostete ihn Beherrschung, unverbindlich weiterzureden. »Der Anubis ist beinahe fertig. Höchste Zeit, denn ich möchte mit dem offiziellen Begräbnis nicht mehr länger warten. Es ist nur ...«
»Ja?« Selene schaute vom Linsensortieren auf.
»Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll.«
»Gerade heraus!«
»Da drüben, im anderen Zimmer, stehen so schöne Skulpturen. Ich konnte mich neulich einfach nicht länger beherrschen und musste sie einmal genauer ansehen.«
»Du hast Glück, dass Nezem dich nicht dabei erwischt hat. Die Isis-Figuren sind ihm nämlich besonders heilig.«
»Er würde keine davon verkaufen?«
»Dir? Vergiss es!«
»Schade«, sagte Basa und brachte tatsächlich einen zerknirschten Tonfall zustande. »Sehr schade! Isis war seit jeher Sarits Lieblingsgöttin, und ich dachte ...«
»Du möchtest eine für Sarits Haus für die Ewigkeit?«
Er nickte.
Sie stand zögernd auf, ging hinüber und kam mit einer kleinen Statue zurück. »Für meine Freundin, nur für meine tote Freundin. Mögen die Schwingen der Isis sie für immer sanft wiegen! Jetzt mach aber, dass du damit nach Hause kommst!«
Selenes und Basas Hände hatten sich kurz berührt. Jetzt hielt sie die Arme ganz eng am Körper, wie um sich zu schützen.
Zu spät!, dachte er triumphierend. Du zappelst bereits in meinem Netz! Nichts verbindet mehr als Geheimnisse, die einen Dritten ausschließen. Und schon bald werden es noch gefährlichere Geheimnisse sein, Selene!
»Ich danke dir«, sagte er höflich. »Aber was wirst du Nezem sagen? Das Fehlen der Figur wird ihm doch sicherlich auffallen. Und ich möchte nicht, dass du meinetwegen ... unsertwegen lügen musst. Oder sogar Ärger mit deinem Mann bekommst.«
»Das lass ruhig meine Sorge sein!« Plötzlich klang Selene ganz förmlich. »Wann genau soll das Begräbnis stattfinden?«
»In zwei Wochen«, sagte Basa, »am letzten Feiertag. Es soll ein unvergessliches Fest werden. Ich hoffe, ihr seid dabei.«
»Wir werden sehen«, sagte Selene.
Er hätte pfeifen mögen, als er auf die Straße trat, so übermütig fühlte er sich. Sie dagegen hatte ihn kaum mehr ansehen können. Natürlich hatte sie keine Ahnung, wie gründlich sein Plan war. Er hatte den Tag der Bestattung nicht minder sorgfältig wie das Grab ausgesucht. Auf Geheiß Schepenupets sollte Nezem nämlich, wie Basa rechtzeitig herausbekommen hatte, dringend zu den Alabasterbrüchen aufbrechen, eine lange, mühsame Reise, die es ihm unmöglich machen würde, Sarit auf ihrem Weg ins Haus für die Ewigkeit zu
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