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Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter

Titel: Isle of Night Bd. 1 - Die Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Wolff
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und Schlaglöcher, und ich wurde so heftig durchgeschüttelt, dass mein Hinterkopf mehr als einmal gegen die Nackenstütze krachte.
    Ohne auf den wild schaukelnden SUV zu achten, vertiefte Ronan das Thema, sachlich und nüchtern, wie es seine Art war. »In einem Becken kannst du niemals natürliche Bedingungen simulieren. All die Variablen wie Temperatur, Windgeschwindigkeit, Oberflächen- und Unterströmungen … Sichttrübung durch Schlamm, Pflanzen, Einleiten von Öl oder Abwässern –«
    »Okay, geschenkt.« Ich hob eine Hand. »Du machst mich fertig. Ich schlage vor, wir kümmern uns jetzt erst mal um das Schwimmen an der Oberfläche und sehr viel später um die Unterströmungen. Sonst erlebe ich keine Sicht-, sondern eine Gehirntrübung.«
    Ich glaube, dass ich ihm tatsächlich ein Lächeln entlockte. Leider war ich so in Panik, dass ich es nicht genießen konnte. Ich trug meinen Neoprenanzug, und alles deutete darauf hin, dass wir eine Meeresbucht ansteuerten. Es gab kein Zurück für mich.
    Er fuhr durch ein tiefes Schlagloch, und ich umklammerte die Lederschlaufe über der Tür. »Wie kommt es, dass ausgerechnet ich zu diesem Einzelunterricht verdonnert bin? Bin ich die einzige Nichtschwimmerin weit und breit?«
    »Nein, du bist nicht die einzige Nichtschwimmerin.«
    Ich wartete auf eine Erklärung, die natürlich nicht kam. »Und warum steckt ihr nicht auch die anderen geheimnisvollen Nichtschwimmerinnen in Neoprenanzüge und karrt sie in diese Crispy Cove? Knackiger Name übrigens …«
    »Die Bucht heißt Crispin’s Cove , und die anderen Sucher haben ihre eigenen Unterrichtsmethoden.«
    Der Neoprenanzug kroch höchst unangenehm in meine Arschfalte, aber ich wollte ihn nicht ausgerechnet vor Ronan straffziehen. Ich hatte auch meinen Stolz.
    Schon das Anziehen war erniedrigend und entmutigend gewesen. Das Ding war schwer, es war unförmig, und es hatte den blödesten Rücken-Reißverschluss, den man sich nur denken kann. Ich brauchte volle zehn Minuten, um ihn hochzuzippen. Anfangs hatte ich mir ausgemalt, Ronan um die kleine Handreichung zu bitten – vielleicht in meinem verruchtesten Starlet-Gesäusel –, aber die Realität sah dann so aus, dass ich mich fluchend wand und verrenkte, bis ich das widerspenstige Teil endlich besiegt hatte.
    Ich zerrte an den Schenkeln und nutzte das Rütteln des Wagens, um nach hinten zu rutschen und mich so von meinem unfreiwilligen G -String zu befreien, aber keine Chance. Das machte mich ätzig. »Warum muss eigentlich Lilou nicht in Eiswasser schwimmen?«
    »Der Neoprenanzug wird dich warm halten. Und Lilou bekommt ihren Einzelunterricht in einem anderen Fach.«
    Meine Laune besserte sich auf einen Schlag, und ich setzte mich wieder aufrecht hin. »Wo liegt Lilous Schwäche?«
    Ronan bog in einen Weg ein, der noch holpriger war als sein Vorgänger. »Jede von euch erhält auf einem bestimmten Gebiet Einzelunterricht. Was das jeweils ist, geht dich nichts an.«
    In diesem Fall ging es mich sehr wohl etwas an. Wenn ich die verhasste Schnepfe jemals übertreffen wollte, musste ich ihre Achillesferse kennen. Ich erinnerte mich an den Grundkurs zur deutschen Grammatik, den ich auf ihrem Schreibtisch gesehen hatte. »Es hat irgendwas mit Sprachen zu tun, stimmt’s?«
    Ronan starrte geradeaus und gab keine Antwort.
    »Hmpf.« Damit war unsere Konversation erst mal beendet.
    Missmutiger als bei Beginn unserer Fahrt spähte ich in die wachsende Dämmerung. Ich war gefangen auf dieser Insel, gefangen in einem zu engen Neoprenanzug und schon bald gefangen in tiefem, eiskaltem Wasser. Das alles machte mich ziemlich motzig. »Es ist so dunkel hier«, beschwerte ich mich.
    »Sei froh darüber! Du wirst die Dunkelheit noch vermissen.«
    »Das bezweifle ich.« Ich fuhr mit den Fingernägeln über meine Oberarme. Wir waren mitten im Nichts, und die Aussicht, dass irgendwo in diesem stahlgrauen Halblicht Vampire Amok liefen, verursachte mir eine Gänsehaut.
    »Wir befinden uns in Polnähe. So wie in den Monaten der Polarnacht fast völliges Dunkel herrscht, gibt es auch eine längere Periode konstanten Zwielichts.«
    Das Wort ließ mich erschauern. Gleichzeitig begriff ich, was er meinte. Die Insel lag in der Nähe des Polarkreises. Der Sommer würde schneller da sein, als ich es mir vorstellen konnte. Bereits im Juni würde die Sonne Tag und Nacht an einem Himmel stehen, der selten richtig hell war. »Das Land der Mitternachtssonne«, murmelte ich. »Deshalb haben sich die

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