Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
keine Gelegenheit mehr gegeben, sich wieder zu versöhnen und einander zu verzeihen.
Arthur Sinclair sollte sich verdammt noch einmal besser bald dazu entschließen, seiner Tochter zu verzeihen.
Gedankenversunken schaute Tom dem närrischen Mischlingshund zu, wie er am Heck entlangraste, der immer kleiner werdenden Insel zugewandt, und noch immer laut kläffte. Er und Smokey duldeten einander gerade so, lebten aber in einem unausgesprochenen Waffenstillstand, für den einzig Deborahs Gegenwart der Grund war. Der Hund entfernte sich nie weit von ihr. Deshalb regte er sich wohl auch so auf, denn er war auf der Suzette , während Deborah auf der Koenig segelte. Tom gab sich Mühe, nicht auf dem öligen Deck auszurutschen, holte sich Lightning Jacks Fernglas und stieg auf die Brücke des Kutters. Die Koenig , die Queen und die Little Winyah waren ein gutes Stück vor ihnen; ihre Segel blähten sich im Wind, der sie schneller zu ihrem Ziel brachte, als es die Maschinen des Kutters vermochten. Der Wind wehte stark, war fast schon ein Sturm.
Ein Wintersturm, dachte Tom unwohl und blickte in den stahlgrauen Himmel. Die Wolken, die aufzogen, kündeten von schweren Schneeflocken. Bei Einbruch der Nacht wäre Isle Royale dick eingeschneit und die Häfen nicht länger erreichbar. Eis knirschte, als der Bug des Kutters durch die dünnen Eisplatten brach. Binnen weniger Tage wäre alles zugefroren, und die Insel würde bis zum Frühjahr, wenn es taute, ungestört schlafen.
Er hielt das Fernglas vors Auge und erkannte Deborah an ihrem albernen lila Hut, den fertigzustellen sie gestern Abend wild entschlossen gewesen war. An Bord der Koenig saß sie achtern am Heck im Schutz einer Plane, aber einen Augenblick später duckte sie sich und war dann verschwunden.
Tom drehte sich um, betrachtete die Küstenlinie der Insel. Wie lebensfeindlich sie aus dieser Entfernung wirkte, die Eiskruste wie ein zackiges Halsband um das felsige Ufer. Sie war sein zu Hause, solange er denken konnte, aber im Winter sah sie unzugänglich und unwirtlich aus wie eine feindliche Festung.
Nur einen Moment lang hatte er den Eindruck, als hätte er eine Bewegung wahrgenommen am Rande der Siedlung. Dann traf das Boot eine Welle. Tom geriet ins Wanken und hätte beinahe den Halt verloren. Als er das Gleichgewicht wiedergefunden hatte und erneut zur Insel blickte, konnte er nur Leere erkennen. Nackte Felsen, nackte Bäume und nackte Erde.
Auf Wiedersehen, Asa.
Ihm war klar, dass das nicht stimmte, aber er hatte das Gefühl, als würde er Asa verraten. In den letzten sechs Jahren hatten er und Asa die Insel für den Winter immer gemeinsam verlassen. Jetzt ließ er Asa zurück, in einem kalten Grab, wo Tom ihn nie mehr erreichen konnte. Ihn nie wieder berühren, ihm nie wieder das Haar zausen, nie wieder sein Lachen hören.
Tom biss die Zähne zusammen. Er versuchte sich dazu zu zwingen, an etwas anderes zu denken als an den Jungen und die Tatsache, dass dieser nie wieder den Frühling erleben würde. Er konnte nicht aufhören, den See und die Insel durch das Fernglas zu betrachten, als gäbe es dort eine Antwort auf die Fragen, die ihm auf der Seele lagen.
In Deborahs Nähe hatte er nicht mehr so viel über Asa nachgedacht wie zuvor, bevor er nach Chicago gefahren war. Sie war kein Ersatz für den Jungen, den er liebte, den Jungen, der seinem Leben Gestalt und Sinn verlieh, aber ihre Gegenwart hatte Tom abgelenkt von dem heftigen Schmerz des Verlustes.
Zu erleben, wie sie die Insel entdeckte, war für ihn so gewesen, als sähe er Isle Royale zum ersten Mal – durch die Augen eines Kindes. Wie sie mit angehaltenem Atem die Herrlichkeit der Natur bestaunt hatte, hatte ihm etwas ins Gedächtnis gerufen, was er vergessen hatte, seit Asa umgekommen war. Die Welt war wunderschön. Das Leben war lebenswert. Wie ironisch, dass eine verwöhnte Debütantin, die Tochter seines Feindes, ihn daran erinnern musste.
Die Tatsache, dass sein Racheplan nicht aufgegangen war, störte Tom dieser Tage gar nicht mehr so sehr. Wenn er ehrlich war, der brennende Wunsch, Arthur Sinclair zu töten, hatte sich ziemlich rasch abgekühlt, während die Stadt um ihn herum in Flammen aufgegangen war. Deborah hatte Tom eine Tatsache bewusst gemacht, vor der er in seiner wahnsinnigen Trauer und seinem Rachehunger die Augen verschlossen hatte: Arthur Sinclair war jemandes Vater.
Offensichtlich hatte Sinclair vorgehabt, sie wie ein Opferlamm zu der berühmten Familie Ascot zu schicken,
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