Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
ich, ich könnte einen Spaziergang unternehmen“, gestand sie. „Wenn die Sonne scheint und alles so wunderbar aussieht, verspüre ich das Verlangen, in diese weiße Welt hinauszugehen.“ Ein selbstironisches Lächeln spielte um ihren Mund. „Aber meine Hände und Füße werden kalt, wenn ich nur ein paar Schritte vor die Tür mache, um Holz zu holen. Im Schnee würde ich keine zwei Minuten überleben.“
Sie schien keine Antwort zu erwarten, daher legte er einfach ein Holzscheit ins Feuer. Dann wandte er sich zur Tür und schlug den Kragen seines warmen Mantels hoch.
„Tom?“, frage sie leise, zögernd.
Er drehte sich rasch zu ihr um. „Ja?“
Sie erwiderte seinen Blick einen Moment lang, der sich in die Länge zog, bis es unbehaglich wurde. Sie biss sich auf die Unterlippe. „Nichts“, sagte sie und ihre Wangen färbten sich rosa, während sie wieder auf ihren Quilt blickte. „Ich habe vergessen, was ich sagen wollte.“
„Ich bin vor Einbruch der Dunkelheit zurück“, erklärte er und verließ das Haus. Sein Herz klopfte heftig, und er kannte auch den Grund dafür. Zum ersten Mal überhaupt hatte sie seinen Vornamen benutzt. Sie hatte ihn mit „Tom“ angesprochen.
Am Weihnachtstag verbrachte Deborah zwei Stunden gebückt über dem Waschbrett, wusch Bettwäsche und Kleidung. Sie biss die Zähne zusammen und bedauerte zu wissen, was für ein besonderer Tag es war, weil die Vorstellung, dass sie Weihnachten als Waschfrau verbrachte, einfach zu erbärmlich war. Aber wie eine Närrin hatte sie die Tage gezählt, seit sie auf Isle Royale zurückgelassen worden war, und als sie heute Morgen aufgewacht war, hatte sie gewusst, dass es Weihnachten war.
Tom Silver war wie gewöhnlich nirgends zu sehen. Sie sagte sich, sie solle dankbar sein, dass er so stark und kräftig war und dass er so hart dafür arbeitete, ihre Behausung warm und gemütlich zu halten. Und dass er dafür sorgte, dass Essen für sie auf den Tisch kam. Aber ab und zu wäre ihr seine Gesellschaft und eine anregende Unterhaltung lieber gewesen als ein Kaninchen für den Kochtopf oder Feuerholz für den Ofen.
Ihr war klar, es war nicht richtig, sich so für ihn zu interessieren, aber sie konnte ihre Neugier einfach nicht bezähmen. Wenn sie ihn anschaute, begann sie sich unwillkürlich tausend Sachen zu fragen. Sie wollte, dass er von Asa erzählte, vom Krieg und wie es gewesen war, auf der Insel aufzuwachsen. Aber sie hatte keine Ahnung, wie sie ihm die Fragen stellen sollte.
Ihre Unterhosen und Unterröcke schrubbte sie so heftig, dass das lauwarme Wasser ihr über die Arme lief. Die Laugenseife brannte auf ihren Händen, in den kleinen Kratzern von all der Hausarbeit, die sie verrichtete, und dem vielen Nähen. Aber all diese kleinen Wunden waren der Alternative vorzuziehen – Langeweile und Müßigkeit. Sie hatte eine angenehme Ruhe in dem sanften Rhythmus des Nähens gefunden, Stich um Stich, und eine unerwartete Befriedigung darin, an dem Quilt zu arbeiten. Wenn sie im gleichen Tempo vorankäme wie bis bisher, würde es noch eine halbe Ewigkeit dauern, bis sie fertig wäre, aber das war egal.
Wäsche waschen hingegen brachte nicht diese erbauliche Befriedigung mit sich, wie sie lustlos feststellte, aber es musste nun einmal getan werden. Besonders heute, überlegte sie melancholisch.
Sie wusch ihre Sachen zu Ende, hängte sie im Raum zum Trocknen auf. Gegen ihren Willen musste sie an frühere Weihnachtsfeste denken. Getrocknete rote Beeren und Popcorn auf Fäden aufzuziehen, war die schwerste Aufgabe gewesen, die ihr dabei zugefallen war. Die Diener hatten das Haus ihres Vaters immer mit Tannen- und Stechpalmenzweigen geschmückt. Kerzen aus Myrtenwachs hatten überall gebrannt, und ein großer Tannenbaum, reich behängt mit Lametta und Glassternen hatte stolz im Empfangssalon gestanden.
Die Weihnachtszeit hatte aus einer glänzenden Party nach der anderen bestanden, und die Aufregung hatte sich mehr und mehr gesteigert, bis schließlich der Feiertag gekommen war. Sie liebte die Geheimnisse, die Vorfreude, die frohen Lieder und die Festlichkeit um sie herum. Die Großzügigkeit ihres Vaters kannte keine Grenzen, wenn es um Weihnachten ging. In den vergangenen Jahren hatte er ihr ein Pony, einen seltenen weißen Kanarienvogel in einem vergoldeten Käfig und einen handbemalten Pferdeschlitten geschenkt, den er eigens aus Russland hatte einführen lassen, eine Diamantentiara, silberne Kämme für ihr Haar und zahllose andere
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